(Letzte Aktualisierung: 14.03.2021)
Grundrecht
Wo steht die Freizügigkeit im Grundgesetz?
Art. 11 Absatz 1 GG legt fest:
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
Damit wird es allen Inländern (also nicht auch Ausländern) erlaubt, sich an jedem Ort in Deutschland aufzuhalten oder sich niederzulassen. Einschränkungen sind nur im Rahmen des Abs. 2 möglich, der erhebliche Hürden für Freizügigkeitsbeschränkungen aufstellt.
Was ist die „historische Dimension des Art. 11 GG“?
Der historische Aspekt der Freizügigkeit geht auf die deutsche Teilung zurück. Die Bundesrepublik sah sich immer als einzige Vertretung Gesamtdeutschlands an, auch wenn sich ihr Einflussbereich unstreitig nicht auf Ostdeutschland, also die Sowjetische Besatzungszone bzw. später die anerkannte DDR erstreckte. Daher waren auch alle DDR-Bürger aus Sicht der Bundesrepublik deutsche Staatsbürger.
Dementsprechend wurde Art. 11 GG stets so verstanden, dass die Freizügigkeit auch den ostdeutschen Bürgern zukam, diese also (aus Sicht des Westens) im gesamten Deutschland ihren Wohnsitz nehmen konnten. Vor allem wurde so juristisch abgesichert, dass Ostdeutsche (was auf Bundesebene politisch völlig unumstritten war) jederzeit aus der DDR in die Bundesrepublik fliehen durften.
Dürfen sich Ausländer in Deutschland nicht aussuchen, wo sie wohnen möchten?
Doch, Ausländer können sich zwar nicht auf die Freizügigkeit, aber auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Zu dieser umfassenden Handlungsfreiheit gehört auch das Recht, sich seinen Wohnort auszusuchen.
Allerdings ist die Möglichkeit der Einschränkung der freien Wohnortwahl bei Ausländern leichter. Davon wird allerdings praktisch nur bei Asylbewerbern Gebrauch gemacht, sog. Residenzpflicht.
Gilt die Freizügigkeit auch für ausländische Ehepartner von Deutschen?
Ja.
Auch, wenn sich Ausländer nicht selbst unmittelbar auf die Freizügigkeit aus Art. 11 GG berufen können, ergibt sich hier eine Reflexwirkung aus Art. 6 GG. Weil Ehe und Familie besonders geschützt sind, ist auch das Recht der Ehepartner geschützt, zusammen zu leben. Hierfür ist es notwendig, die Freizügigkeit des deutschen Ehepartners auch auf den ausländischen Ehegatten zu erstrecken.
Daraus folgt, dass der ausländische Ehepartner ein eigenes Grundrecht aus Art. 11 GG besitzt, er muss sich also nicht aus das Recht des deutschen Partners berufen.
Gilt die Freizügigkeit auch für juristische Personen?
Ja.
Auch inländische juristische Personen können sich auf die Freizügigkeit berufen. Zwar haben Vereine oder Unternehmen keinen Wohnsitz im eigentlichen Sinne wie eine natürliche Person. Sie haben aber einen (Verwaltungs-) Sitz und ein Betätigungsfeld, das sie aufgrund von Art. 11 GG im gesamten Bundesgebiet frei wählen können.
Schützt die Freizügigkeit nur das Recht, seinen Wohnsitz zu verlegen?
Dies ist umstritten.
Grundsätzlich schützt die Freizügigkeit jedenfalls auch und vorrangig die Wohnsitznahme.
Die Bewegungsfreiheit ist dagegen nicht spezifisch von der Freizügigkeit erfasst. Die Wahl des Aufenthaltsorts soll allerdings nach eine neueren Meinung auch zur Freizügigkeit gehören. Der Unterschied zwischen bloßer Bewegung und Aufenthalt bemisst sich wohl auch, aber nicht ausschließlich nach Zweck und Dauer.
Schützt die Freizügigkeit auch das Recht, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten?
Das kommt darauf an.
Der Staat darf nicht individuell verbieten, dass sich eine bestimmte Person an einem bestimmten Ort aufhalten möchte. Es dürfen also keine „unerwünschten Personen“ festgelegt werden.
Soweit allerdings ein allgemeines Verbot besteht, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (z.B. Naturschutzgebiet, Atomkraftwerk, Forschungseinrichtung, Firmengelände), ist die Freizügigkeit insoweit nicht berührt.
Gehört zur Freizügigkeit auch das Recht, seinen Beruf überall auszuüben?
Dies ist umstritten.
Früher ging man davon aus, dass die berufliche Betätigung nicht unter die Freizügigkeit fällt, sondern ausschließlich durch die Berufsfreiheit geschützt wird.
Mittlerweile wird dies wohl so gesehen, dass die Berufsausübung als wirtschaftliche Grundlage so eng mit dem privaten Leben verbunden ist, dass eine Trennung unsinnig erscheint. Dementsprechend ist jedenfalls im Rahmen der Berufsfreiheit zu berücksichtigen, dass der Beruf meist einer Verlegung des Wohnorts folgen muss.
Wie ist das Verhältnis zur Freiheit der Person?
Die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG schützt den Bürger gegen Verhaftung und andere Festnahme und Festsetzung durch den Staat. Geschützt wird also das Recht, sich fortzubewegen. Wer verhaftet ist, kann seine übrigen Grundrechte nur sehr begrenzt ausüben, er kann auch von der Freizügigkeit keinen Gebrauch machen. Insofern ist die Freiheit der Person weitergehend als die Freizügigkeit bzw. sogar eine Grundlage dafür.
Die Freizügigkeit ist dagegen spezieller, weil sie nicht nur dafür sorgt, dass man sich überhaupt fortbewegen kann, sondern auch das Aufsuchen eines bestimmten Ortes schützt.
Sind indirekte Folgen eines Umzugs innerhalb Deutschlands zulässig?
Ja, soweit diese zumindest einen vernünftigen Grund haben.
Bsp.:
- Eine Zweitwohnungssteuer knüpft an das Innehaben von zwei Wohnungen an, verbietet aber den Umzug nicht.
- Das kommunale Wahlrecht sollen nur Personen haben, die schon einige Zeit im Ort wohnen, keine frisch Zugezogenen.
Schützt die Freizügigkeit auch das Recht auf Auswanderung?
Dies ist umstritten, nach herrschender Meinung jedoch nicht.
Die Freizügigkeit soll nur innerhalb des Bundesgebiets gelten. Dies bedeutet dann aber auch, dass Deutsche, die im Ausland gewohnt haben, jederzeit ins Inland zurückkehren können, ohne dass der Staat ihnen dies untersagen kann.
Die Ausreise aus dem Bundesgebiet dürfte aber unabhängig davon trotzdem grundrechtlich geschützt sein. Es ist schwer vorstellbar, dass ein freiheitlicher Staat seinen Bürgern untersagen darf, sich seinem Einfluss zu entziehen und sein Leben in einen anderen Staat zu verlagern.
Wann darf die Freizügigkeit eingeschränkt werden?
Das beantwortet Art. 11 Abs. 2 GG. Eine Einschränkung der Freizügigkeit ist demnach nur möglich:
- wenn eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden
- zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes
- zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen
- zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung
- um strafbaren Handlungen vorzubeugen
Dies sind sehr enge Gründe, die auch relativ selten vorliegen dürften. Zudem müssen diese Ausanhmefälle es gerade erfordern, deswegen die Freizügigkeit zu beschränken. So ist z.B. schon schwer vorstellbar, dass es der Jugendschutz häufig erfordert, in die Freizügigkeit einzugreifen.
Die genannten Gründe sind abschließend, können also nicht durch Analogiebildung erweitert werden.
Wer darf die Freizügigkeit in diesen Fällen einschränken?
Bei Art. 11 Abs. 2 GG handelt es sich um Gesetzgebungsbefugnisse. Es dürfen sich also nicht Behörden unmittelbar auf diese Einschränkungsmöglichkeit stützen und bspw. einem Bürger wegen Seuchengefahr verbieten, sich irgendwo niederzulassen.
Vielmehr muss zunächst ein Gesetz erlassen werden, das es mit Blick auf diese Vorschrift verbietet, seinen Aufenthalt an bestimmten Orten zu nehmen. Auch können die Voraussetzungen umschrieben werden, unter denen dann Behörden im Einzelfall die Freizügigkeit beschränken können.
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