Gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 GG)

(Letzte Aktualisierung: 25.08.2021)

Das Recht auf den gesetzlichen Richter hat in der deutschen Grundrechtslehre eine ganz besondere Rolle, die über das hinaus geht, was in den meisten anderen Verfassungsordnungen bekannt ist. Dieses Recht bedeutet, dass man nur von dem Gericht beurteilt und verurteilt werden darf, das gesetzlich vorgegeben ist. Damit soll verhindert werden, dass sich der Staat zu einem bestimmten Fall den Richter „sucht“, der das Verfahren in seinem Sinne führen wird.

Grundrecht

Wo steht das Recht auf den gesetzlichen Richter im Grundgesetz?

In Artikel 101 Absatz 1 des Grundgesetzes findet sich folgende Anordnung:

Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

Das Recht, dass nur der gesetzlich bestimmte Richter ein Urteil fällt, ist ein zentrales Prinzip des deutschen Rechtsstaats.
Das Recht, dass nur der gesetzlich bestimmte Richter ein Urteil fällt, ist ein zentrales Prinzip des deutschen Rechtsstaats.
„Gesetzlich“ ist ein Richter dann, wenn seine Zuständigkeit im Vorhinein aufgrund abstrakt-genereller Regelungen feststeht. Es darf also kein Mensch mehr damit betraut sein, die Zuständigkeit zu entscheiden.

Darüber hinaus wird als gesetzlicher Richter nur derjenige gesehen, der auch unparteiisch und unabhängig entscheiden kann. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Grundrecht, sondern auch um materielles Prozessrecht, das über dem gesetzlichen Prozessrecht steht.

Wie wird der zuständige Richter innerhalb des Gerichts festgelegt?

Auch diese Zuteilung muss in allgemeiner Form erfolgen. Dies geschieht durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts.

In diesem sind die Spruchkörper (Abteilungen, Kammern, Senate) und deren Zuständigkeiten festgelegt. So lässt sich bspw. anhand des Verfahrensinhalts, der Namen der Beteiligten und/oder der Eingangsnummer verbindlich feststellen, welcher Richter zuständig sein wird.

Die Verteilung geschieht also in einer Kombination aus klaren Festlegungen und Zufall. Wichtig ist nur, dass keine Zuteilung durch eine bestimmte Person erfolgt.

Für wen gilt das Recht auf den gesetzlichen Richter?

Grundrechtsträger ist hier jeder, der in irgendeiner Form an einem Gerichtsverfahren teilnimmt. Es kommt nicht darauf an, ob man nun Angeklagter, Kläger, Beklagter, Nebenkläger, Intervenient oder sonst Beteiligter ist.

Nicht Beteiligte sind aber Zeugen oder Sachverständige. Diese haben kein Recht darauf, nur vom zuständigen Gericht vernommen zu werden.

Auch juristische Personen einschließlich staatliche Körperschaften haben ein Recht auf den gesetzlichen Richter. Kein Grundrechtsträger in diesem Sinne ist aber die Staatsanwaltschaft.

Sind Entscheidungen des Gerichts über seine Besetzung zulässig?

Grundsätzlich schon.

Verschiedene Prozessordnungen sehen es vor, dass das Gericht selbst entscheidet, wie es besetzt ist. Wenn die Sach- und Rechtslage nicht besonders schwierig ist, kann das Gericht in „kleiner Besetzung“ entscheiden. Strafkammern entscheiden dann bspw. etwas reduziert mit zwei statt drei Richtern (und jeweils zwei Schöffen). Im Verwaltungsgericht wird die Kammer dann jedoch von drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern auf nur einen Berufsrichter deutlich verkleinert.

Diese Möglichkeit verstößt nach herrschender Meinung nicht gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, sofern die Beteiligten sich dazu äußern können und das Gericht anhand fester Kriterien darüber entscheidet.

Wann muss ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter gerügt werden?

Das kommt auf die jeweilige Prozessordnung an. Grundsätzlich sollte man dies aber so früh wie möglich machen. Denn häufig bedeutet die Hinnahme des Tätigwerden eines unzuständigen Gerichts, dass dieses zuständig wird.

Dann kann die Unzuständigkeit auch nicht mehr im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde angefochten werden.

Was ist, wenn der Richter befangen ist?

Wenn ein Richter nicht neutral oder sonst voreingenommen, also „befangen“ ist, darf er den Prozess nicht entscheiden. Dies gilt auch dann schon, wenn ein objektiver Beobachter zumindest den Verdacht der Befangenheit hegt. In diesem Fall muss der Richter durch einen anderen Richter ersetzt werden. Das sehen alle Prozessordnungen in allen Rechtsbereichen so vor.

In diesem Fall hört der Richter also auf, gesetzlicher Richter zu sein. Denn es gibt eine gesetzliche Regelung, die ihn für unzuständig erklärt. „Neuer“ gesetzlicher Richter ist dann der Richter, der vom Geschäftsverteilungsplan als Ersatz vorgesehen ist. Für die Bestimmung dieses Ersatzrichters gelten dann die allgemeinen Regeln, also auch dieser Richter muss objektiv feststehen und darf nicht ausgewählt werden.

Weil der befangene Richter kein gesetzlicher Richter mehr ist, gibt es ein aus Art. 101 Abs. 1 GG folgendes Recht auf Ablösung eines befangenen Richters. Wenn die zuständigen Gerichte einen begründeten Befangenheitsantrag ablehnen, liegt darin ein Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter.

Was ist, wenn ein Gericht überlastet ist?

Im Falle der Überlastung des Gerichts, ist eine Umschichtung von Verfahren, auch von bereits laufenden Verfahren zulässig. Notwendig ist aber, dass diese Überlastung objektiv feststeht und anders keine zügige Erledigung der Fälle (die ebenfalls grundrechtlich geschützt ist) sichergestellt ist.

In der Praxis geht es in erster Linie darum, dass nicht ein komplettes Gericht, sondern nur ein Spruchkörper (bspw. eine Kammer oder ein einzelner Richter) überlastet ist. Dann werden die Fälle innerhalb des Gerichts „umgeschichtet“.

Beispiel:

Beim Verwaltungsgericht X sind laut Geschäftsverteilungsplan die Kammern Nr. 6, 8 und 13 für Asylverfahren zuständig.

Im Jahr 2016 häufen sich aufgrund einer schlagartig steigenden Zahl an Flüchtlingen, die im Bezirk X ankommen, die asylrechtlichen Verfahren. Die drei Kammern müssen plötzlich die zehnfache Zahl an Klagen bearbeiten. Daher würden einige Verfahren voraussichtlich bis zu sieben Jahren brauchen, bis eine Entscheidung erfolgen kann.

Daraufhin teilen die Kammern dem Präsidium des Verwaltungsgerichts mit, dass sie überlastet sind. Das Präsidium beschließt nun, dass zusätzlich die Kammern Nr. 7, 9, 16 und 21 für Asylverfahren zuständig sind. Die Kammer Nr. 6 gibt alle Verfahren mit ungeradem Aktenzeichen an Kammer Nr. 21 ab, ebenso Kammer 13 an Kammer 7 und 8 an 9. Kammer 16 ist für alle neu eintreffenden Klagen zuständig, deren Aktenzeichen auf die Ziffer 3 endet.

Eine solche Umorganisation wäre zulässig. Sollte sich die Überlastung dadurch nicht beheben lassen, wäre auch eine weitere Aufteilung erlaubt.

Was ist ein Ausnahmegericht?

Als Ausnahmegericht bezeichnet man ein Gericht außerhalb der normalen Gerichtsorganisation, das meistens für einen speziellen Fall eingerichtet wird.

Ein solches Gericht würde die Beteiligten quasi automatisch ihrem gesetzlichen Richter entziehen, daher ist das stets unzulässig.

Gibt es auch ein Recht auf das gesetzliche Rechtsmittelgericht?

Rechtsanwalt Thomas Hummel unterstützt Sie bei einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.
Rechtsanwalt Thomas Hummel unterstützt Sie bei einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.
Ja.

Zwar sehen die Grundrechte kein allgemeines Recht auf ein Rechtsmittel (Berufung oder Revision) vor. Es ist also nicht zwingend, dass es überhaupt ein Rechtsmittel gibt. Wenn das Prozessrecht aber – was fast immer der Fall ist – ein Rechtsmittel vorsieht, darf einem das nicht im konkreten Verfahren genommen werden.

Lässt also bspw. das Berufungsgericht die Revision nicht zu, obwohl die Voraussetzungen vorliegen, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG dar. Insoweit ist das Bundesverfassungsgericht aber nicht dazu berufen, eine Zulassungsentscheidung zu treffen. Vielmehr muss dargelegt werden, dass die Nichtzulassung des Rechtsmittels auf Willkür beruhte.

Dies gilt auch, wenn ein Gericht trotzdem entsprechender Pflicht keine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einholt. Insoweit zählt auch ein internationales Gericht zum gesetzlichen Richter nach deutschem Verfassungsrecht.

Was ist, wenn es eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt?

Viele Rechtsmittel müssen vom Gericht zugelassen werden, siehe oben. Wenn keine Zulassung erfolgt, gibt es dann aber eine Beschwerde gegen diese Nichtzulassung, über die das Rechtsmittelgericht entscheidet.

Beispiel:

Im Zivilrecht ist das Oberlandesgericht X das Berufungsgericht in einem Fall wegen Schadenersatzes. Dieses weist die Klage ab und lässt die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zu.

Gegen die Nichtzulassung kann nun Beschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt werden. Der BGH entscheidet dann zunächst, ob die Revision zulässig ist. Erst, wenn die Revision zugelassen wird, wird weiter in das Verfahren eingestiegen.

Lässt der BGH die Revision aber nicht zu, ist kein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter gegeben, da der BGH ja doch noch entschieden hat. Insoweit wurde also niemand dem zuständigen Gericht entzogen, auch dann nicht, wenn die Entscheidung des BGH falsch war.

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