Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG)

(Letzte Aktualisierung: 04.09.2021)

Der Zusammenschluss von Personen wurde lange als Gefahr für den Staat gesehen: Wenn mehrere oder viele Bürger sich zusammentun und gemeinsam für etwas kämpfen, kann dies schneller gefährlich werden als wenn jeder für sich tätig ist. Daher wurden solche Gemeinschaften häufig untersagt. Das Grundrecht, mit dem sich Bürger hiergegen wehren können, ist die Vereinigungsfreiheit.

Diese schützt Zusammenschlüsse mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, unabhängig davon, wie dieser Zweck aussieht und welche Grundlage der Zusammenschluss hat. Da der Zweck selbst häufig auch durch ein bestimmtes Grundrecht geschützt ist (berufliche Vereinigungen bspw. durch die Berufsfreiheit, Schulvereine durch das Bildungsgrundrecht, religiöse Gruppierungen durch die Glaubensfreiheit), gibt es häufig Ausstrahlungswirkungen in andere Bereiche.

Vereinigungsgrundrecht

Wo steht die Vereinigungsfreiheit im Grundgesetz?

Hierzu heißt es in Art. 9 Abs. 1:

Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

Auch Sportvereine unterliegen der Vereinigungsfreiheit des Grundgesetzes.
Auch Sportvereine unterliegen der Vereinigungsfreiheit des Grundgesetzes.
Es handelt sich also wiederum um ein Deutschen-Grundrecht, das eigentlich nur deutschen Staatsbürgern zusteht. Da aber auch Ausländer nach den BGB-Vorschriften Vereine gründen können, hat dies keine deutlichen Auswirkungen.

Die hier gemeinten Vereinigungen sind grundsätzlich alle freiwilligen Zusammenschlüsse zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks.

Wo steht das Streikrecht im Grundgesetz?

Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG nennt das Streikrecht nur implizit als Teil der Vereinigungsfreiheit:

Maßnahmen (…) dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Damit darf der Staat – nicht einmal im Notstand – gegen Arbeitskämpfe vorgehen.

Wo steht die Koalitionsfreiheit im Grundgesetz?

Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sagt aus:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.

Damit ist das Recht, Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften) und Arbeitgeberverbände zu gründen. Das Besondere an diesem Grundrecht ist, dass es nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen andere Personen, insbesondere gegen den jeweiligen „Gegenspieler“ wirkt. Ein Arbeitgeber darf seinen Arbeitnehmern also nicht verbieten, Gewerkschaften beizutreten. (Abs. 3 Satz 2)

Gibt es einen Unterschied zwischen einer Vereinigung und einem Verein?

Vereinigung ist wohl als Oberbegriff zum umgangssprachlichen Vereinsbegriff zu sehen. Vereinigungen sind sowohl Vereine (§§ 21 bis 79 BGB) als auch Gesellschaften (§§ 705 bis 740 BGB). Dies entspricht dem Verein im Sinne des Vereinsgesetzes.

Was ist eine Vereinigung?

Eine Vereinigung ist ein dauerhafter und freiwilliger Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen zu einem gemeinsamen Zweck mit organisierter Willensbildung.

Welche Zusammenschlüsse sind keine Vereinigung?

Bestimmendes Merkmal der Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG ist die Freiwilligkeit. Weder Zwangszusammenschlüsse noch öffentlich-rechtliche Zusammenschlüsse, die durch staatlichen Hoheitsakt entstehen, sind Vereinigungen.

Was kann der Zweck der Vereinigung sein?

Grundsätzlich ist jeder Zweck denkbar, sei er nun sportlicher, gesellschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher, wohltätiger, religiöser oder anderer Natur. Die Mitglieder müssen hinsichtlich dieses (Haupt-) Zwecks einig sein, ob die hinsichtlich anderer Ziele (die nicht Zweck des Vereins sind) übereinstimmen, ist freilich unerheblich.

Was sind Vereinigungen und was nicht?

Vereinigungen sind:

  • Handels- und Kapitalgesellschaften
  • sonstige Gesellschaften im Sinne der §§ 705 bis 740 BGB
  • Vereine im Sinne der §§ 21 bis 79 BGB
  • Verbände
  • Konzerne
  • Holdings

Keine Vereinigungen sind:

  • Unternehmergesellschaften, da sie nur aus einer Person bestehen
  • Gemeinschaften im Sinne der §§ 741 bis 758, da sie nicht freiwillig entstehen, sondern nur auf die Ausübung eines einzelnen Rechts bezogen sind

Ist das Vereinigungsrecht ein Recht des Einzelnen oder des Vereins?

Sowohl als auch.

Als Individualrecht wird das Recht des Bürgers geschützt, einem Verein beizutreten oder dies zu lassen, Mitglied zu bleiben, sich in ihm zu betätigen und seine Mitgliedschaft zu beenden.

Als Kollektivgrundrecht wird das Recht der Vereinigung geschützt, as solche zu bestehen und ihrem Zweck nachzugehen. Auch die Selbstbestimmung des Vereins im Rahmen seiner inneren Selbstverwaltung und seiner nach außen gerichteten Handlungsfähigkeit sind von Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes umfasst.

Schützt die Vereinigungsfreiheit auch davor, Mitglied in einem Zwangszusammenschluss werden zu müssen?

Diese Frage ist umstritten, wird aber aus historischen Gründen eher bejaht. Die Vereinigungsfreiheit war ursprünglich gerade eine negative Freiheit, die den Einzelnen davor schützen wollte, Mitglied bspw. von Zünften werden zu müssen. Daher die Pflicht zur Kammermitgliedschaft und Ähnliches nur durch Gesetz möglich, das explizit in Art. 9 Abs. 1 GG eingreift.

Welche Vereinigungen genießen Grundrechtsschutz?

Vereinigungen sind bspw. auch Wirtschaftsunternehmen wie Aktiengesellschaft oder GmbHs.
Vereinigungen sind bspw. auch Wirtschaftsunternehmen wie Aktiengesellschaft oder GmbHs.
Grundsätzlich können sich alle irgendwie organisierten Vereinigungen auf die Grundrechte berufen. Ob diese nach bürgerlichem Recht juristische Personen im Sinne einer eigenen Rechtspersönlichkeit sind, ist unerheblich. Der Begriff der juristischen Person in Art. 19 Abs. 3 GG ist weiter zu fassen.

So ist bspw. ein Sportverein grundrechtsfähig, eine bloße Hobbymannschaft mangels Organisationsstruktur dagegen nicht.

Sind kriminelle Vereinigungen auch geschützt?

Prinzipiell fallen auch Vereinigungen, die kriminelle Aktivitäten verfolgen, unter die Vereinigungsfreiheit. Allerdings ist insofern auch Art. 9 Abs. 2 zu beachten, der ein Verbot dieser Vereinigungen konstatiert.

Sind Vereinigungen, die unter Art. 9 Abs. 2 GG fallen, automatisch verboten?

Nein, diese Vereinigungen müssen erst durch die Behörde verboten werden. Art. 9 Abs. 2 GG sagt:

Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

Das klingt so als wären diese Vereinigungen automatisch verboten. Dies ist aber nicht der Fall, das Grundgesetz ist insoweit missverständlich bzw. falsch formuliert.

Richtig ist vielmehr, dass diese Vereinigungen verboten werden können, nämlich durch die jeweils zuständige Behörde, meist das Bundesinnenministerium. Art. 9 Abs. 2 GG stellt nur klar, dass ein solches Verbot zulässig ist und einen erlaubten Eingriff in das Vereinigungsgrundrecht darstellt.

Kann die Vereinigungsfreiheit bei einem Vereinsverbot geltend gemacht werden?

Grundsätzlich schon.

Die Vereinigungsfreiheit schützt einen Verein in seinem Bestand, also auch davor, verboten zu werden. Zugleich gibt Art. 9 Abs. 2 GG aber auch Gründe vor, aus denen ein Verein verboten werden kann.

Die Frage ist nun, ob ein Verein, der unter Art. 9 Abs. 2 fällt, sich noch auf Art. 9 Abs. 1 GG stützen kann, oder ob er dadurch, dass Art. 9 Abs. 2 erfüllt ist, bereits aus dem Schutz der Vereinigungsfreiheit herausfällt.

Diese Frage ist, soweit ersichtlich, noch nicht beantwortet.

Jedenfalls wird man bei der Feststellung, ob ein Verbotsgrund gegeben ist, die Vereinigungsfreiheit heranziehen müssen. Dies bedeutet, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Verbotsgrunds nicht leichtfertig angenommen werden dürfen. Die Behörde und (im Falle einer Anfechtung) das Gericht müssen sich genau mit dem Verein und seinen Zwecken und Zielen auseinandersetzen.

Sofern bei sorgfältiger Prüfung festzustellen ist, dass es sich um einen zu verbietenden Verein handelt, überwiegt diese Tatsache jedenfalls die Vereinigungsfreiheit, sodass das Verbot als stärkste Maßnahme gerechtfertigt ist. Ob es sich insoweit um einen Eingriff in die Vereinigungsfreiheit oder um eine Maßnahme außerhalb der Vereinigungsfreiheit handelt, ist dann unerheblich.

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