(Letzte Aktualisierung: 07.09.2021)
Kunst und Wissenschaft sind zwei ziemlich unterschiedliche Bereiche, wie alle darin tätigen Personen sicher sofort bestätigen würden. Trotzdem werden sie vom gleichen Artikel des Grundgesetzes, nämlich von Art. 5 Abs. 3 GG, geschützt. Unter den verschiedenen Grundrechten, die alle in Artikel 5 zu finden sind, wird die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit auch in der Regel zusammen behandelt.
Der Grund dafür liegt darin, dass Kunst und Wissenschaft beides Disziplinen sind, die sich mit der Betrachtung und Wiedergabe der Wirklichkeit auseinandersetzen. Dass Wissenschaftler und Künstler dabei durchaus unterschiedlicher Ansätze verfolgen (Erforschung von objektiven Zusammenhängen einerseits und Ausdruck von persönlichen Empfindungen und Anschauungen andererseits), ist für den grundrechtlichen Schutz aber zunächst einmal weniger bedeutend.
Natürlich gibt es aber auch Unterschiede im jeweiligen Schutzbereich und in den geschützten Tätigkeiten.
Kunstfreiheit
Wo steht die Kunstfreiheit im Grundgesetz?
Die Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG genannt:
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Auf die Kunstfreiheit kann sich dabei jeder berufen, man muss nicht als Künstler anerkannt sein oder seinen Lebensunterhalt aus der Kunst bestreiten. Der Kunstbegriff ist grundsätzlich offen: Praktisch jede Form der Darstellung, die vom Betrachter interpretiert werden kann, ist Kunst.
Welche Schranken gelten für die Kunstfreiheit?
Die Kunstfreiheit hat grundsätzlich keine ausdrücklichen Schranken im Grundgesetz.
Begrenzt wird sie damit lediglich durch die Grundrechte anderer sowie durch bedeutende staatliche Rechtsinteressen.
Häufig wird es einen Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Betroffenen geben. In jüngerer Zeit haben sich auch immer wieder Spannungen mit den religiösen Gefühlen von Glaubensrichtungen ergeben.
Gelten die Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG auch für die Kunstfreiheit?
Nein.
Systematisch bezieht sich Art. 5 Abs. 2 GG ausschließlich auf Abs. 1 der Vorschrift. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird also durch die allgemeinen Gesetze, durch den Jugendschutz und durch den Ehrenschutz begrenzt, nicht aber die Kunstfreiheit.
Welche Handlungen schützt die Kunstfreiheit?
Die Kunstfreiheit schützt
- die Vorbereitung und Schaffung des Kunstwerks,
- die Zugänglichmachung des Werks durch Ausstellung oder Aufführung,
- die vervielfältigende Produktion des Werks (z.B. durch Druck oder Herausgabe von CDs),
- die Werbung für das Kunstwerk.
Nicht geschützt sind dagegen die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk in Form von Kunstkritik oder Kunstkonsum.
Wer kann sich auf die Kunstfreiheit berufen?
Jeder, der eine von der Kunstfreiheit geschützte Tätigkeit ausübt. Das sind also zum einen die Künstler selbst, aber auch die Hersteller, Verleger oder Produzenten.
Gilt die Kunstfreiheit auch für juristische Personen?
Ja, sofern sie sich im Kunstsektor befinden. Dies ist bspw. bei Produktionsfirmen unproblematisch der Fall.
Als eigene Urheber von Kunst werden juristische Personen dagegen seltener in Erscheinung treten. Denn die für die Kunst notwendige „künstlerische“ Auseinandersetzung mit der Realität dürfte (fast) ausschließlich natürliche Personen, also Menschen, möglich sein.
Soweit eine juristische Person die Kunstfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann, sind auch ihre Organe durch die Kunstfreiheit geschützt, bspw. der Geschäftsführer.
Gilt die Kunstfreiheit auch für staatliche Einrichtungen?
Das ist strittig.
Man wird wohl annehmen können, dass die Kunstfreiheit zumindest für solche staatlichen Einrichtungen gilt, deren Zweck gerade die Vermittlung und Produktion von Kunst ist. Dies gilt bspw. für eine staatliche Kunsthochschule im kreativen Segment, dagegen eher nicht im rein administrativen oder unterrichtenden Bereich.
Was besagt der offene Kunstbegriff?
Der offene Kunstbegriff stellt nicht auf formelle oder materielle Gesichtspunkte ab, sondern beinhaltet jede künstlerische Äußerung, deren Bedeutungsgehalt einer stetigen Interpretation entnommen werden muss, die eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Werk notwendig macht.
Was besagt der materielle Kunstbegriff?
Der materielle Kunstbegriff stellt darauf an, dass der Künstler seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zur Grundlage der künstlerischen Betätigung gemacht hat und diese nach außen darstellen will.
Was besagt der formelle Kunstbegriff?
Der formelle Kunstbegriff definiert Kunst danach, ob das Kunstwerk einer bestimmten, als Kunst anerkannten Form unterfällt. Derartige Formen sind z.B. gemalte Bilder, Skulpturen und Bildhauerei, schriftstellerische Werke, Schauspiel, Parodie.
Ist auch Werbung für Kunst geschützt?
Ja. Hierbei handelt es sich um eine unterstützende Tätigkeit für die Kunstvermittlung und Außendarstellung.
Können auch anstößige Inhalte Kunst sein?
Ja, der Kunstbegriff ist insoweit grundsätzlich neutral.
Auch pornographische oder beleidigende Aussagen oder Inhalte, mit denen man sich über jemanden lustig oder ihn verächtlich macht, können Kunst sein. Es kommt nur darauf an, ob die Gesamtaussage unter die Kunstfreiheit fällt.
Soweit die Darstellung bestimmter Inhalte wegen dieser Anstößigkeit verhindert werden soll, handelt es sich um Einschränkungen der Kunstfreiheit. Diese sind grundsätzlich zulässig, müssen aber die Kunstfreiheit beachten und zwischen den beteiligten Rechtsgütern abwägen.
Welche Bedeutung haben die Forschung und die Lehre für die Wissenschaftsfreiheit?
Kunst im eigentlichen Sinne kennt Forschung und Lehre nicht, hierauf sind diese Begriffe also nicht anwendbar.
Soweit Kunst im wissenschaftlichen Sinne betrieben wird, es also bspw. um Kunstgeschichte geht, gelten die Ausführungen zur Wissenschaftsfreiheit.
Was ist der Anachronistische Zug?
Beim Anachronistischen Zug handelte es sich um die eine bedeutende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 17.07.1984, Az. 1 BvR 816/82) zur Kunstfreiheit. Dieses Urteil klärte viele Detailfragen zu diesem Grundrecht, z.B.
- Gegenüberstellung der verschiedenen Definitionen von Kunst
- Die Kunstfreiheit ist schrankenlos gewährt, findet ihre Grenze aber in anderen Verfassungsbestimmungen.
- Kunstfreiheit und Allgemeines Persönlichkeitsrecht beschränken sich gegenseitig.
- Eine künstlerische Darbietung ist im Gesamtzusammenhang zu würdigen und darf nicht in einzelne Teile aufgespalten und in diesen Teilen rechtlich geprüft werden.
- Lässt ein Kunstwerk mehrere Interpretationen zu, darf nicht allein die strafrechtlich relevante herangezogen werden.
Wissenschaftsfreiheit
Wo steht die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz?
Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes sagt dazu:
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Damit wird also die Wissenschaft in all ihren Facetten geschützt, einschließlich der Gewinnung neuer Erkenntnisse (Forschung) und der Vermittlung von Wissen an andere (Lehre). Wissenschaft ist die ernsthafte und planmäßige Erforschung der Wahrheit.
Was gehört zur Wissenschaft?
Wissenschaft ist der ernsthafte, auf einem gefestigten Kenntnisstand aufbauen planmäßige Versuch, die Wahrheit zu ermitteln.
Die „echte“ Wissenschaft im Sinne dieses Grundrechts beginnt erst im Bereich der Hochschulen, Gymnasien oder allgemein bildende Schulen gehören noch nicht zur Wissenschaft.
Wer kann sich auf die Wissenschaftsfreiheit berufen?
Jeder, der in wissenschaftlicher Forschung und Lehre tätig ist. Dies gilt sowieso für die natürlichen Personen selbst als auch für die Institutionen, in deren Rahmen sie handeln.
Auch staatliche Institutionen wie Hochschulen können sich im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit und ihres Lehrauftrags auf die Wissenschaftsfreiheit berufen.
Welche Bedeutung haben die Forschung und die Lehre für die Wissenschaftsfreiheit?
Keine, die über die Wissenschaft hinausgehen würde.
Das Grundgesetz nennt in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 „Forschung und Lehre“ parallel zu Kunst und Wissenschaft. Nach ganz herrschender Meinung haben diese Begriffe aber keine eigenständige Bedeutung neben der Wissenschaft, da die Wissenschaft bereits diese beiden Betätigungsfelder abschließend umfasst. Forschung und Lehre sind also die beiden Aspekte, in denen wissenschaftliche Tätigkeiten erbracht werden.
Was ist das Hochschul-Urteil?
Im sogenannten Hochschulurteil (1 BvR 424/71 und 325/72) hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzliche Fragen der Wissenschaftsfreiheit in Bezug auf hochschulpolitische Fragen geklärt.
Mehr Informationen:
- Urteile zu diesem Grundrecht finden Sie unter:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden – Kunst- und Wissenschaftsfreiheit - Experteninformationen zu diesem Grundrecht finden Sie unter:
Ihr Anwalt für eine Verfassungsbeschwerde – Kunst- und Wissenschaftsfreiheit - anwalt.de: Die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in der Verfassungsbeschwerde