Faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 1)

(Letzte Aktualisierung: 07.11.2022)

Wer vor Gericht steht, muss zumindest das Recht darauf haben, dass das Verfahren fair geführt wird. Es mag vielleicht nicht mit dem Ergebnis enden, das man sich vorgestellt hat, aber man muss zumindest die Chance gehabt haben, den Prozess zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Diesen Anspruch bezeichnet man als das Justizgrundrecht auf ein faires Verfahren.

Das faire Verfahren gehört als Grundsatz und Grundrecht zu allen Zweigen der staatlichen Gerichtsbarkeit und kann daher in jeder Urteils-Verfassungsbeschwerde eine Rolle spielen. Besondere Bedeutung hat es aber regelmäßig im Strafrecht, weil hier die Rechte des Angeklagten besonders wichtig sind und das Verfahren oft konfrontativer verläuft als bspw. in einem Zivilprozess.

Weil dieses Grundrecht praktisch immer herangezogen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht aber die Anforderungen deutlich nach oben geschraubt: Nicht eine einzelne unfaire Verhaltensweise des Gerichts reicht, sondern es muss ein insgesamt unfairer Verfahrensablauf dargelegt werden. Außerdem müssen die Möglichkeiten, diese mangelnde Fairness im Prozess zu rügen, genutzt werden.

Insgesamt braucht eine auf dieses Grundrecht gestützte Verfassungsbeschwerde also eine besonders genaue und detaillierte Argumentation.

Grundrecht

Wo steht das Recht auf ein faires Verfahren im Grundgesetz?

Justizia ist die Symbolfigur für ein faires Verfahren. Die Waagschalen sollen objektiv das Recht messen.
Justizia ist die Symbolfigur für ein faires Verfahren. Die Waagschalen sollen objektiv das Recht messen.
Ganz ausdrücklich findet sich ein solches Recht nicht im Grundgesetz. Allerdings formuliert Art. 20 Abs. 3 GG ein allgemeines Rechtsstaatsgebot:

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Insbesondere aus der letzten Festlegung bzgl. der Rechtsprechung wird die Notwendigkeit eines fairen Verfahrens abgeleitet. Zu einem individuellen Grundrecht wird dieses Rechtsstaatsgebot durch die Verknüpfung mit der Menschenwürde und mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, teilweise auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Ergänzt wird das Recht auf ein faires Verfahren weiterhin durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Denn in der Europäischen Menschenrechtskonvention nimmt dieses Recht eine sehr zentrale Stellung ein und ist außerdem viel detaillierter ausgeführt als im Grundgesetz.

Mehr dazu auf anwalt-menschenrechtsbeschwerde.de:

Stellt das Rechtsstaatsgebot auch ein Grundrecht dar?

An sich handelt es sich dabei um ein allgemeines Staatsprinzip, das keine persönlichen Rechte mit sich bringt. Allerdings wird aus einer Kombination des Rechtsstaatsprinzips mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, teilweise auch mit der Menschenwürde oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz, auch ein Grundrecht abgeleitet.

Daraus folgt prozessual ein Recht auf ein faires Verfahren, materiell gehört dazu das Gebot der Rechtssicherheit. Zu Letzterem gehört bspw. das Erfordernis der Normenklarheit.

Besteht das Grundrecht auf faires Verfahren dann auch wirklich?

Ja, dies ist heute praktisch unbestritten. Es ist kaum noch vorstellbar, dass es keinen Anspruch auf ein faires Verfahren geben soll.

Es gibt allerdings auch gewisse Kritik daran, dass nur einzelne Aspekte des fairen Verfahrens (z.B. das rechtliche Gehör und der gesetzliche Richter) im Grundgesetz verankert sind, es aber daneben noch einen umfassenden Anspruch auf ein faires Verfahren geben soll, der nirgends steht und nur ziemlich vage Konturen besitzt.

Die Folge dessen ist dann, dass es weitgehend Aufgabe des Gesetzgebers ist, die konkreten Aspekte des fairen Verfahrens auszugestalten. Dies ist nicht unproblematisch, da auf diese Weise ein Grundrecht maßgeblich durch das einfach Gesetz bestimmt wird.

Welche Rechte umfasst das Rechtsstaatsgebot konkret?

Das Rechtsstaatsgebot umfasst grundsätzlich alle prozessualen Rechte, für die es kein spezielles Grundrecht (z.B. der Anspruch auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter) gibt.

Insbesondere muss das Gericht auf Chancengleichheit zwischen den Beteiligten achten und für ein transparentes Verfahren sorgen. Dazu gehört, dass den Beteiligten alle Informationen zukommen, die im Verfahren relevant sein können.

Ob das Verfahren rechtsstaatlich und fair war, kann aber meist nicht aus einzelnen Punkten abgeleitet werden, sondern kann nur anhand einer Gesamtbetrachtung des Verfahrensverlaufs bewertet werden.

Gibt es auch ein Recht auf ein faires Verwaltungsverfahren?

Ja, die Verfahrensfairness muss auch von Behörden gewahrt werden. Dies bedeutet, dass Betroffene grundsätzlich auch das Recht haben müssen, im behördlichen Verfahren mitzuwirken und die Entscheidung der Amtsträger zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Das Recht auf Akteneinsicht gilt auch gegenüber Behörden.
Das Recht auf Akteneinsicht gilt auch gegenüber Behörden.
Praktisch relevant ist vor allem das Recht auf Akteneinsicht. Der Betroffene soll die Möglichkeit haben, die Verfahrensakten einzusehen, damit er auf demselben Stand ist wie die Behörde selbst und ggf. auch wie das Gericht. Akteneinsicht ist im Strafverfahren unverzichtbar und im Verwaltungsverfahren äußerst ratsam.

Allerdings spielt das Grundrecht insoweit keine besonders große Rolle, da fast alle Verfahrensverstöße vor Behörden dann im späteren gerichtlichen Verfahren geheilt werden können. Wenn der Bürger also durch das Gericht die Möglichkeit erhält, sich zu äußern, Informationen zu bekommen oder sonst seine Rechte wahrzunehmen, kann ein Verstoß im behördlichen Vorverfahren in der Regel nicht mehr geltend gemacht werden.

Gilt das Recht auf ein faires Verfahren auch im Zivilrecht?

Ja.

Im Zivilrecht sind einige Grundrechte nur eingeschränkt anwendbar, weil in der Regel Privatpersonen (ob natürliche Personen oder Unternehmen, ist hier egal) gegeneinander klagen und die Grundrechte eigentlich nur gegen den Staat gelten.

Mehr dazu:

Weil das Zivilgericht insoweit aber auch Staatsgewalt ausübt, ist es trotzdem voll an die Justizgrundrechte gebunden. Der Anspruch auf das faire Verfahren richtet sich ja in diesem Fall nicht gegen den Prozessgegner. Dies Prozessgestaltung liegt ausschließlich beim Richter und dieser muss für die Verfahrensfairness sorgen.

Gilt das Recht auf ein faires Verfahren auch für den Staat als Prozesspartei?

Ja.

Wenn der Staat selbst als Partei vor Gericht steht (bspw. als Beklagter im Verwaltungs- oder Sozialgerichtsverfahren, in Staatshaftungssachen, bei Schadenersatzklagen einer Gemeinde gegen Bürger o.ä.), ist er genauso dem Gericht ausgeliefert und dessen Urteil unterworfen. Darum kann der Staat hier ausnahmsweise auch Grundrechte in Anspruch nehmen, in dem Fall die Justizgrundrechte.

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Wie kann ein Verfahrensverstoß in der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden?

Weil ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens erfordert, muss in der Verfassungsbeschwerde der gesamte Verfahrensverlauf wenigstens skizziert werden, sodass sich das Gericht aus den sonstigen Unterlagen (z.B. Verhandlungsprotokolle, Schriftsätze) ein Gesamtbild machen kann.

Dann müssen aber auch konkrete Verstöße benannt werden, bei denen das Gericht einen in irgendeiner Form benachteiligt haben soll. Insoweit muss genau herausgearbeitet werden, inwieweit das Verhalten der Richter dem Prozessrecht und auch den grundrechtlichen Garantien widersprochen hat.

Muss ein Fairness-Verstoß schon im Instanzverfahren geltend gemacht werden?

Das kommt darauf an, in der Regel ist es zumindest ratsam.

Wenn man der Meinung ist, dass der Richter das Verfahren in unfairer Weise führt, sollte das zunächst beanstandet werden. Diese Beanstandung ist aktenkundig zu machen, sei es durch Aufnahme in das Sitzungsprotokoll oder durch entsprechende Anträge und Schriftsätze.

Im Strafrecht wird häufig verlangt, dass konkrete Fairness-Verstöße zum Anlass genommen werden, einen Befangenheitsantrag gegen den Richter zu stellen, also geltend zu machen, dass dieser nicht neutral ist.

Mehr dazu:

Sind formale Anforderungen im Prozess unfair?

Grundsätzlich nicht. Zur Rechtssicherheit im Prozess gehört es, dass prozessuale Handlungen bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Dies gilt sowohl für die Form (z.B. Unterschrift, schriftliche Einlegung) als auch für die Frist.

Es ist grundsätzlich anerkannt, dass bei Verletzung solcher Vorschriften Nachteile für den Bürger entstehen können. Insbesondere kann es passieren, dass eine an sich falsche behördliche oder gerichtliche Entscheidung bestehen bleibt, weil kein Rechtsmittel eingereicht wurde.

Ein Fairness-Verstoß kann allenfalls dann vorliegen, wenn die Anforderungen überspannt werden und keine Funktion für den Prozess mehr erfüllen. Dies wird aber nur sehr selten der Fall sein. Relativ häufig trifft man bei Wiedereinsetzungsgesuchen und Prozesskostenhilfeanträgen darauf.

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