Grundrechtseingriffe

Staatliche Verbote stellen stets Grundrechtseingriffe dar.
Staatliche Verbote stellen stets Grundrechtseingriffe dar.
(Letzte Aktualisierung: 14.12.2022)

Die Grundrechte des Grundgesetzes sind nicht absolut. Der Schutz, den sie gewähren, verhindert nicht jede Freiheitseinschränkung durch den Staat. Diese Einschränkungen werden lediglich bestimmten Regeln unterworfen.

Eine solche Einschränkung wird im juristischen Sprachgebrauch als Grundrechtseingriff oder schlicht Eingriff bezeichnet. Erst, wenn man feststellen muss, dass sich der Eingriff nicht innerhalb der dafür geltenden Regeln bewegt, ist der Eingriff rechtswidrig. In diesem Fall liegt eine Grundrechtsverletzung vor.

Eingriffsbegriffe

Was ist ein Eingriff?

Ein Eingriff ist jede staatliche Handlung, die die Ausübung des Grundrechts beeinträchtigt. Dabei reicht grundsätzlich jeder Eingriff in irgendeinen Aspekt des Grundrechts aus. Dass der Bürger sein Grundrecht noch auf andere Weise ausüben kann, ändert nichts am Vorliegen eines Eingriffs.

Dabei werden aber nur solche Beeinträchtigungen erfasst, die die Bagatellgrenze überschreiten, also von gewisser Erheblichkeit sind.

Was ist der klassische Eingriffsbegriff? Was ist der moderne Eingriffsbegriff?

Der moderne Eingriffsbegriff geht davon aus, dass jedes staatliche Handeln einen Eingriff in ein Grundrecht darstellt, wenn es dem Grundrechtsträger ein Verhalten im Sinne eines Grundrechts ganz oder teilweise unmöglich macht. Wannimmer also ein Grundrecht irgendwie tatsächlich tangiert wird, ist ein Eingriff gegeben.

Demgegenüber forderte der klassische Eingriffsbegriff noch zusätzliche Voraussetzungen: Der Eingriff musste

  • unmittelbar ohne Zwischenschritte,
  • in rechtsförmliche Weise durch Gesetz, Verwaltungsakt oder Urteil und
  • final mit der Absicht des Eingriffs erfolgen sowie
  • mit Befehl und ggf. Zwang durchgesetzt werden.

Unter den heutigen modernen Eingriffsbegriff fallen also sehr viel mehr staatliche Handlungen als noch unter den klassischen Begriff. Der Schutz des Einzelnen ist dadurch ausgeprägter.

Was ist ein mittelbar-faktischer Eingriff?

Ein mittelbar-faktischer Eingriff ist eine nicht beabsichtige Nebenfolge einer anderen staatlichen Handlung. Auch diese wird heute – im Gegensatz zum klassischen Eingriffsbegriff – als Eingriff qualifiziert, da der Betroffene dadurch genauso beeinträchtigt wird und er ansonsten keine Rechtsschutzmöglichkeit hätte.

Können auch Privatpersonen in Grundrechte eingreifen?

Nein, die Grundrechte wirken nur gegen den Staat. Soweit eine Drittwirkung von Grundrechten anerkannt ist, bedeutet diese lediglich, dass der Staat, wenn er über das Verhältnis von Bürgern zueinander entscheidet, die Grundrechte berücksichtigen muss. Der Bürger selbst ist aber trotzdem nicht an die Grundrechte gebunden und kann dementsprechend auch keinen Eingriff vornehmen.

Können Gesetze die Bagatellgrenzen für Grundrechte festlegen?

Nein, es handelt sich dann nicht um eine Präzisierung des Grundrechts, sondern um einen ganz normalen Eingriff, der selbst verfassungsrechtlich geprüft werden muss.

Grundrechtsschranken

Ist ein Eingriff in Grundrechte immer rechtswidrig?

Wenn der Staat in Grundrechte eingreifen will, muss er hierfür formelle Gesetze erlassen.
Wenn der Staat in Grundrechte eingreifen will, muss er hierfür formelle Gesetze erlassen.
Nein, alle Grundrechte sind in irgendeiner Weise beschränkbar. Die Grundrechte schützen also nicht gegen jede Beeinträchtigung der von ihnen erfassten Freiheit, sondern ordnen nur an, dass der Staat gewisse Formen dafür wahren muss.

Was ist eine Grundrechtsschranke?

Eine Grundrechtsschranke ist die Beschränkung eines Grundrechts, die sich aus dem Grundgesetz ergibt.

Einige Schranken ergeben sich unmittelbar aus dem Grundgesetz selbst, bspw. ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit von vornherein auf friedliche und unbewaffnete Demonstrationen beschränkt.

Andere Schranken sind im Grundgesetz vorgesehen, müssen dann aber durch ein einfaches Gesetz näher bestimmt werden. Art. 12 Abs. 1 Satz GG besagt bspw.:

Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

Das Gesetz kann dann also entweder selbst die Ausübung eines Berufs regeln oder kann Behörden erleben, diese Regelungen aufgrund des Gesetzes zu treffen.

Der Sprachgebrauch ist hier aber nicht immer eindeutig: Teilweise wird – auch durch das Bundesverfassungsgericht – sowohl die Grundgesetzregelung, die die Beschränkung vorsieht, als auch das deswegen erlassene Gesetz als Schranke bezeichnet.

Was ist ein normgeprägter Schutzbereich?

Von einem normgeprägten Schutzbereich spricht man, wenn ein Grundrecht seine Ausgestaltung erst durch das einfache Recht erhält. Dies ist bspw. bei der Ehe der Fall, da eine Ehe erst dann besteht, wenn nach gesetzlichen Vorschriften die Ehe geschlossen wurde.

Was ist, wenn ein Verhalten von mehreren Grundrechten gedeckt ist?

Fällt eine Handlung in die Schutzbereiche verschiedener Grundrechte, so sind sie alle heranzuziehen. Es handelt sich also praktisch um mehrere Eingriffe, die alle auf ihre Rechtfertigung zu überprüfen sind.

Welche Varianten der Beschränkbarkeit eines Grundrechts gibt es?

In Grundrechte kann stets nur durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dies bezeichnet man als Gesetzesvorbehalt. Die konkrete Ausprägung des Gesetzesvorbehalts kann aber je nach Grundrecht unterschiedlich sein. Man unterscheidet folgende Arten von Gesetzesvorbehalten:

  • einfacher Gesetzesvorbehalt – im Grundrecht steht, dass dieses durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes beschränkbar ist; jedes Gesetz kann in das Grundrecht eingreifen
  • qualifizierter Gesetzesvorbehalt – der Gesetzesvorbehalt hängt von bestimmten Voraussetzungen ab; nur ein bestimmtes Gesetz kann in das Grundrecht eingreifen, z.B. die Freizügigkeit nur bei erheblichen Gefahren, Naturkatastrophen oder Versorgungsengpässen (Art. 11 Abs. 2 GG)
  • kein Gesetzesvorbehalt – im Grundrecht selbst wird kein Gesetzesvorbehalt genannt; auch diese Grundrechte können durch Gesetze eingeschränkt werden, dann allerdings nur zugunsten anderer bedeutender Verfassungsgüter

Sind Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt gar nicht beschränkbar?

Doch, kein Grundrecht darf sich derart über alle anderen erheben. Daher gelten auch für solche Grundrechte verfassungsimmanente Schranken, insbesondere die Schutzbereiche anderer Grundrechte sowie andere Verfassungsgüter.

Insoweit wird von der „Einheitlichkeit der Verfassungsordnung“ gesprochen, wonach die Grundrechte nebeneinander stehen und sich notwendigerweise gegenseitig beschränken.

Schranken-Schranken

Was sind Schranken-Schranken?

Schranken-Schranken sind die Grenzen, die für Grundrechtseinschränkungen gelten. Der Gesetzgeber kann Grundrechte also nicht beliebig beschränken, nur weil das Grundgesetz das erlaubt, sondern muss sich auch dann noch an gewisse „Spielregeln“ halten.

Welche Schranken-Schranken gibt es?

Die genaue Abgrenzung und Einteilung dieser Schranken-Schranken ist umstritten und wird nicht immer einheitlich vorgenommen. Inhaltlich ist dies aber relativ klar und man kann wohl folgende Schranken-Schranken annehmen:

  • formelle Verfassungsmäßigkeit – das Gesetz muss vom zuständigen Verfassungsorgan im vorgesehenen Verfahren und in der vorgesehen Form beschlossen werden
  • Wesensgehaltsgarantie – der Wesensgehalt eines Grundrechts darf nicht angetastet werden, es muss also trotz des Eingriffs noch etwas vom Grundrecht überbleiben
  • Wesentlichkeitslehre – die wesentlichen Festlegungen muss der Gesetzgeber selbst treffen und darf sie nicht den Behörden überlassen
  • Bestimmtheitsgebot – das grundrechtseinschränkende Gesetz muss so verständlich sein, dass der Bürger erkennen kann, welche Freiheit ihm verbleibt
  • Verbot des Einzelfallgesetzes – ein grundrechtseinschränkendes Gesetz muss allgemein und nicht nur für eine bestimmte Person gelten
  • Zitiergebot – das Gesetz muss die Grundrechte nennen („zitieren“), die es einschränkt
  • Verhältnismäßigkeit – die Grundrechtseinschränkung muss maßvoll sein und den Konflikt zwischen den Grundrechten und den staatlichen Zielen ausreichend berücksichtigen

Wann ist ein Gesetz formell verfassungsgemäß?

Die formelle Verfassungsmäßigkeit wird danach beurteilt, ob der Gesetzgebungsprozess korrekt durchgeführt wurde. Zunächst müssen die zuständigen Verfassungsorgane (Bundestag und Bundesrat bzw. Landtag) gehandelt haben. Dann muss das Gesetzgebungsverfahren beachtet worden sein, von den Lesungen/Abstimmungen bis hin zur Ausfertigung und Veröffentlichung.

Was verlangt die Wesensgehaltgarantie?

Die Wesensgehaltgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) verlangt, dass vom Grundrecht trotz aller Beschränkung noch „irgendetwas“ übrig bleibt. Die genaue Bedeutung ist unklar, insbesondere, ob jedem einzelnen Bürger das Grundrecht bleiben muss oder nur der Rechtsordnung insgesamt.

Was besagt die Wesentlichkeitslehre?

Nach der Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über den Eingriff in das Grundrecht selbst treffen.

Was bedeutet das Bestimmtheitsgebot?

Das Bestimmtheitsgebot verlangt vom Gesetzgeber, das Gesetz verständlich zu fassen. Dies schließt allerdings nicht jede Unklarheit aus, insbesondere wird es stets nötig sein, dass das Gesetz durch die Rechtsprechung ausgelegt wird.

Was bedeutet das Verbot des Einzelfallgesetzes?

Als Einzelfallgesetz bezeichnet man ein Gesetz, das von vornherein nur für einen ganz bestimmten Fall angewandt werden kann. Das ist entweder gegeben, wenn das Gesetz, eine bestimmte Person und Situation ausdrücklich nennt („Hans Müller aus Musterstadt darf sein 943,16 m² großes Grundstück in der Beispielstraße 10 nicht bebauen“). Aber auch, wenn das Gesetz so wirkt als sei es für die Allgemeinheit gedacht, aber seinen Anwendungsbereich so sehr beschränkt, dass im Ergebnis nur eine bestimmte Person erfasst sein kann, handelt es sich um ein Einzelfallgesetz („Die Bebauung aller zwischen 940 und 950 m² großen Grundstücke in der Beispielstraße in Musterstadt ist untersagt, ausgenommen die Grundstücke der Hausnummern 8, 14 und 29“).

Ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränken soll, darf aber immer nur allgemein gelten (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG) und somit gerade kein Einzelfallgesetz sein. Könnte der Gesetzgeber durch spezielle Gesetze den Grundrechtsschutz für einzelne Personen aushebeln, wären die Grundrechte nicht mehr viel wert. Insoweit spricht man vom Verbot des Einzelfallgesetzes.

Was ist das Zitiergebot?

Das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) verlangt, dass ein Gesetz, das in ein Grundrecht eingreift, dieses Grundrecht benennt.

Wo gilt das Zitiergebot?

Rein nach dem Wortlaut könnte man meinen, dass das Zitiergebot für jeden Grundrecht gilt. Allerdings hat die Rechtsprechung hierzu verschiedene Fallgruppen entwickelt.

So gilt das Zitiergebot nicht, wenn das Grundrecht einem qualifizierten oder gar keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt. Übrig bleiben damit nur die Grundrechte, die laut GG ausdrücklich durch jedes Gesetz einschränkbar sind.

Nicht anwendbar ist das Zitiergebot außerdem auf die allgemeine Handlungsfreiheit, da diese sonst in jedem Gesetz genannt werden müsste und es deswegen zu einer bedeutungslosen Förmelei würde. Auch normgeprägte Grundrechte wie das Eigentum müssen nicht zitiert werden.

Verhältnismäßigkeit

Was ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt, dass Staatsgewalt immer nur verhältnismäßig zum verfolgten Zweck ausgeübt werden darf. Insbesondere besteht ein Übermaßverbot, das es untersagt, zu stark in die Rechte der Bürger einzugreifen.

Wann wahrt ein Eingriff den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?

Wann ist ein Grundrechtseingriff angemessen? Dies wurde während der Corona-Pandemie 2020 intensiv diskutiert.
Wann ist ein Grundrechtseingriff angemessen? Dies wurde während der Corona-Pandemie 2020 intensiv diskutiert.
Eine staatliche Maßnahme ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie

  • einen legitimen Zweck verfolgt,
  • für diesen Zweck geeignet ist,
  • für diesen Zweck erforderlich ist und
  • angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) ist.

Wann ist eine Maßnahme geeignet?

Eignung liegt nur dann vor, wenn die Maßnahme den verfolgten Zweck objektiv fördern kann. An die Eignung werden dabei keine besonders hohen Anforderungen geknüpft, der Gesetzgeber besitzt einen weiten Spielraum.

Wann ist eine Maßnahme erforderlich?

Erforderlichkeit ist dann gegeben, wenn kein milderes Mittel ebenso geeignet ist. Ob ein Mittel milder ist, ist an der Intensität des Eingriffs in die Grundrechte zu messen. Gleich geeignet ist das alternative Mittel nur, wenn es das Ziel objektiv ebenso fördern kann wie das ergriffene.

Wann ist eine Maßnahme angemessen?

Angemessenheit ist zu bejahen, wenn die Maßnahme nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck ist, also dem Betroffenen auch zumutbar ist. Dabei sind die jeweils tangierten Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen.

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