(Letzte Aktualisierung: 05.09.2021)
Die Grundrechte verbürgen zahlreiche Rechte. Aber sie stehen erst einmal nur auf dem Papier. Darum kann jeder Staat grundsätzlich vielerlei Rechte und Ansprüche seiner Bürger niederschreiben, ohne dass garantiert ist, dass diese irgendeine Rolle spielen und von Behörden und anderen staatlichen Institutionen überhaupt beachtet werden.
Notwendig ist daher immer auch eine gerichtliche Absicherung. Man spricht insoweit vom Anspruch auf effektiven Rechtsschutz oder kurz (aber teilweise missverständlich) von der Rechtsweggarantie.
Diese Rechtsweggarantie, die in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes niedergelegt ist, verbürgt aber keinen ausgebauten Rechtsweg mit mehreren Instanzen, sondern lediglich die Überprüfung von möglichen Grundrechtseinschränkungen durch (mindestens) ein Gericht.
Auch geht es insoweit nur um die Anfechtung staatlicher Maßnahmen im Hinblick auf die Grundrechte. Nicht erfasst ist ein Anspruch darauf, dass es gerichtlichen Rechtsschutz in zivilrechtlichen Angelegenheiten gibt.
Grundrecht
Was ist die Rechtsweggarantie?
Rechtsweggarantie wird der Regelungsinhalt von Art. 19 Abs. 4 GG genannt:
Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
Diese Vorschrift sichert zunächst einmal den Weg zu den Gerichten für die Anfechtung behördlicher Handlungen. Daneben wird ihm aber auch noch das Recht auf effektiven Rechtsschutz entnommen, also auf eine tatsächliche gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer staatlichen Handlung.
In welchen Fällen gilt das Recht auf effektiven Rechtsschutz?
Es handelt sich dabei um einen Anspruch gegen staatliche Handlungen, nicht um einen allgemeinen „Justizgewährleistungsanspruch“. Wenn also der Staat durch seine Behörden in die Rechte des Bürgers eingreift, muss sich dieser nicht damit abfinden, sondern kann die Gerichte anrufen.
Die betrifft in erster Linie die allgemeine und spezielle Verwaltungsgerichtsbarkeit, also den Weg zu den Verwaltungsgerichten, zu den Sozialgerichten und den Finanzgerichten. Aber auch Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren können vor den Strafgerichten angefochten werden, ebenso bestimmten zivilrechtliche Maßnahmen.
Muss die Verwaltung ihre Entscheidungen begründen?
Ja, da nur dann eine Anfechtung erfolgversprechend ist bzw. die Entscheidung überhaupt auf mögliche Ansatzpunkte überprüft werden kann.
Was ist, wenn unklar ist, ob ein Rechtsweg besteht?
In diesen Fällen ist das Prozessrecht so auszulegen, dass der Rechtsweg eröffnet ist. Im Zweifel wird man also zu einer Nachprüfbarkeit durch die Gerichte kommen.
Wie muss der Rechtsweg beschaffen sein?
Der Rechtsweg muss so ausgestaltet sein, dass das Gericht die Entscheidung der Behörde auch tatsächlich überprüfen und dem Bürger zu seinem Recht verhelfen kann. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Prüfungsspielraum des Gerichts in nicht gerechtfertigter Weise eingeengt ist.
Grundsätzlich muss das Gericht die Möglichkeit haben, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu übrprüfen. Das ist bspw. dann nicht der Fall, wenn das Gericht an die Sachverhaltsfeststellungen der Verwaltung gebunden ist.
Ist eine Bindung an die Entscheidung anderer Gerichte zulässig?
Ja.
In seltenen Fällen besteht eine Bindung des Gerichts an die vorherige Entscheidung eines anderen Gerichts. Dies ist bspw. im Disziplinarverfahren Fall, wo das Verwaltungsgericht die Feststellungen des Strafgerichts übernehmen muss.
Dies ist grundsätzlich zulässig, sofern die Entscheidung des vorherigen Gerichts rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt hat und zudem vollständig und verständlich ist.
Besteht ein Recht auf Prozesskostenhilfe aus Art. 19 Abs. 4 GG?
Grundsätzlich schon.
Die Rechtsweggarantie darf nicht davon abhängig sein, dass man sich das gerichtliche Vorgehen auch leisten kann.
Allerdings darf der Staat die Prozesskostenhilfe davon abhängig machen, dass zumindest gewisse Erfolgsaussichten bestehen. Erkennbar unsinnige oder aussichtslose Klagen müssen nicht durch den Staat finanziert werden.
Besteht auch ein Recht auf Eilrechtsschutz?
Ja.
Auch vorläufige Maßnahmen sind von Art. 19 Abs. 4 GG erfasst. Verfassungsrechtlich ist aber geboten, dass dem Bürger ohne die Eilentscheidung schwere Nachteile entstünden, die auch durch eine spätere reguläre Entscheidung nicht mehr ausgeglichen werden können.
Gilt Art. 19 Abs. 4 GG auch im Asylverfahren?
Ja, grundsätzlich handelt es sich auch beim Asylverfahren um ein Verwaltungsverfahren, in dem die Rechtsweggarantie gilt. Allerdings haben Art. 16a Abs. 2 und 4 GG hier gewisse Einschränkungen geregelt, die insoweit Vorrang besitzen.
Gibt Art. 19 Abs. 4 GG das Recht auf ein Widerspruchsverfahren?
Nein.
Die Rechtsweggarantie garantiert nur die Überprüfung durch ein Gericht. Eine Nachprüfung durch die Verwaltung selbst im Sinne eines Einspruchs- oder Widerspruchsverfahrens ist nicht vorgeschrieben.
Soweit es ein Widerspruchsverfahren gibt, darf das Prozessrecht vorsehen, dass dieses auch genutzt werden muss. Allerdings darf der Zugang zu den Gerichten nicht dadurch erschwert werden, dass unzumutbare formale Hürden aufgebaut werden.
Besteht Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG auch bei internationalen Organisationen?
Nein, als Norm des Grundgesetzes ist sie auch nur auf Handlungen deutscher Verfassungsorgane anwendbar. Aus der Rechtsweggarantie lässt sich also nicht herleiten, dass bspw. Handlungen der EU gerichtlich überprüft werden können.
Allerdings begrenzt Art. 19 Abs. 4 GG das Recht des Gesetzgebers, überhaupt Kompetenzen auf internationale Einrichtungen zu übertragen. Eine solche Übertragung ist nur zulässig, wenn dann wenigstens ein gewisser Rechtsschutz vorhanden ist, bspw. durch den Europäischen Gerichtshof.
Gibt es auch ein Recht auf eine zweite Instanz?
Nein, grundsätzlich ist die Überprüfung durch ein Gericht verfassungsrechtlich ausreichend. Allerdings sehen die Prozessordnungen fast ausschließlich eine Berufungs- bzw. Beschwerdeinstanz vor.
Bietet das einfache Recht ein Rechtsmittel an, so ist dieses allerdings durch das Recht auf den gesetzlichen Richter geschützt.
Kann eine Gerichtsentscheidung mit Verweis auf Art. 19 Abs. 4 GG angefochten werden?
Nein.
Gerichtliche Entscheidungen sind nicht von der Rechtsweggarantie umfasst. Denn ansonsten könnte man gegen jedes Urteil erneut den Rechtsweg beschreiten, es gäbe also einen „unendlichen Regress“: Jede Entscheidung könnte als neue Grundrechtsverletzung aufgefasst werden, gegen die wiederum eine Klage möglich wäre. Würde diese Klage abgewiesen, wäre eine neue Klage gegen das klageabweisende Urteil möglich usw.
Die Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen ist daher nur im Rahmen des von der Prozessordnung vorgesehenen Rechtswegs möglich.
Gilt Art. 19 Abs. 4 GG auch für juristische Personen?
Ja, auch juristische Personen (Unternehmen, Vereine etc.) sind insoweit grundrechtsfähig. Denn auch diese müssen das Recht haben, ihre Grundrechte gerichtlich durchzusetzen.
Das gilt auch für staatliche Vereinigungen wie Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sich diese ausnahmsweise auf Grundrechte berufen können.
Prinzipiell kann man sagen: Wer sich auf ein (anderes) Grundrecht berufen kann, hat auch das Recht, dieses gerichtlich geltend zu machen.
Gilt Art. 19 Abs. 4 GG auch in Sonderstatusverhältnissen?
Ja.
Als Sonderstatusverhältnisse (früher: besondere Gewaltverhältnisse) bezeichnet man Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und dem Bürger, in denen der Bürger in besonderer Weise in den Staat eingebunden ist. Beispiele sind Soldaten, Beamte oder auch Schüler.
Diese wurden früher als staatsorganisatorische Sonderbereiche gesehen, in denen die Grundrechte keine Geltung besitzen.
Heute ist unstrittig, dass auch in diesen Bereichen die Grundrechte vollständig gelten und auch gerichtlich durchsetzbar sind. Gerade, wenn der Bürger in den staatlichen Bereich eingebunden ist und (wie eben ein Schüler) besonders dem staatlichen Zugriff ausgesetzt ist, muss er die Möglichkeit des Rechtsschutzes haben.
Besteht bei Gnadenakten ein Rechtsweg?
Dies ist umstritten.
Grundsätzlich befinden sich Gnadenakte außerhalb des gesetzlichen Rechtswegs und auf einen Gnadenerweis besteht kein gesetzlicher Anspruch („Gnade vor Recht“).
Andererseits handelt es sich dabei aber auch nicht (mehr) um reine Willkürakte, die der Staat völlig frei vornehmen dürfte. Zumindest aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dürfte eine gewisse Nachvollziehbarkeit von Gandenakten zu verlangen sein.
Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass zumindest für den Fall des Widerrufs von Gnadenentscheidungen ein Rechtsweg gegeben ist.
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