Wahlrecht (Art. 38 GG)

(Letzte Aktualisierung: 03.09.2021)

Das Wahlrecht ist ein besonders diffiziler Teil des Rechts. Denn es bestimmt darüber, wie die Stimmen in Mandate umgerechnet werden und wie dementsprechend die Mehrheiten beschaffen wird. Wer über das Wahlrecht entscheiden kann, kann dieses auch manipulieren und so dafür sorgen, dass seine Macht erhalten bleibt.

Darum sind gewisse Aspekte des Wahlrechts auf verfassungsrechtlich abgesichert. Art. 38 GG legt den Rahmen fest, innerhalb dessen sich das Wahlrecht bewegen muss. Trotzdem gibt es immer wieder Streit darum, wie dieser Rahmen genau zu verstehen ist und welche Regelungen darin (noch) verfassungskonform sind.

Das deutsche Wahlrecht

Wo steht das Wahlrecht im Grundgesetz?

Das Wahlrecht im Grundgesetz schützt auch das individuelle Recht, sich an einer Wahl zu beteiligen.
Das Wahlrecht im Grundgesetz schützt auch das individuelle Recht, sich an einer Wahl zu beteiligen.
Art. 38 GG sagt:

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Was sind die Wahlrechtsgrundsätze?

Also Wahlrechtsgrundsätze bezeichnet man die im Grundgesetz niedergelegten Anforderungen an eine demokratische Wahl:

  • Allgemeinheit
  • Unmittelbarkeit
  • Freiheit
  • Gleichheit
  • Wahlgeheimnis

Die Bedeutung dieser einzelnen Kriterien wird hier erläutert:

Das Grundgesetz – Die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes

Warum steht im Grundgesetz nicht mehr zum Bundestagswahlrecht?

Das war eine politische Entscheidung. Wäre das Bundestagswahlrecht detailliert im Grundgesetz geregelt, könnte man es nur schwer ändern und bräuchte die Zustimmung der meisten Parteien. Man hätte es, wie sich Carlo Schmid (SPD) ausdrückt, „zu sehr unter Verfassungsschutz gestellt“. Daher entschied man sich dafür, nur die groben Rahmenbedingungen in das Grundgesetz aufzunehmen.

Wäre ein reines Mehrheitswahlrecht verfassungskonform?

Ja, auch ein solches – hierzulande unübliches – Wahlrecht wäre nach bisherigen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zulässig.

Wäre ein Grabenwahlrecht verfassungskonform?

Ja, ohne Zweifel.

Ein Grabenwahlrecht teilt die Stimmvergabe und die Mandatsverteilung auf zwei Systeme auf: Die eine Hälfte der Sitze wird nach dem Verhältniswahlrecht vergeben, die andere Hälfte nach dem Mehrheitswahlrecht.

Da beide Wahlsysteme für sich betrachtet zulässig sind, wäre auch eine Kombination der beiden Systeme mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Probleme des früheren Bundestagswahlrechts, die zu einer Verzerrung und zu einem negativen Stimmgewicht führen konnten, bestehen hier nicht, da sich die Wahlsysteme nicht gegenseitig beeinflussen.

Verbürgt Art. 38 GG auch ein Grundrecht?

Ja. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Anweisung an den Gesetzgeber, wie er das Wahlrecht zu gestalten hat, sondern auch um individuelle Rechte der Wähler und der Kandidaten. Jeder von ihnen kann sich daher gegen das Wahlrecht wenden und bspw. Verfassungsbeschwerde erheben, wenn er seine Rechte davon beeinträchtigt sieht.

Außerdem müssen die Wahlrechtsgrundsätze im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens beachtet werden.

Sind Überhangmandate zulässig?

Prinzipiell schon, das Wahlrecht darf Überhangmandate vorsehen. Allerdings dürfen diese nicht dazu führen, dass die Grundentscheidungen des Wahlrechts, insbesondere die Verteilung des Mandate nach der Stimmenzahl, unterlaufen werden.

Darum müssen Überhangmandate grundsätzlich ausgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgerichts hat lediglich für maximal 15 Überhangmandate eine Vergabe ohne Ausgleich für die anderen Parteien zugelassen.

Außerdem dürfen Überhangmandate nicht zu einem negativen Stimmgewicht, also zum Verlust von Mandaten durch zusätzliche Stimmen für. Diese Gefahr besteht durch den Ausgleich aber wohl ohnehin nicht.

Ist die Fünfprozenthürde zulässig?

Nach der bisherigen Rechtsprechung schon.

Zwar ist eine Sperrklausel ein Eingriff in die Gleichheit der Wahl, da damit Stimmen für kleine Parteien nicht den gleichen Zählwert haben, sondern komplett verfallen.

Dieser Eingriff wird aber als gerechtfertigt angesehen, weil er die Zersplitterung des Parlaments verhindern und damit stabilere Regierungsmehrheiten ermöglichen soll.

Allerdings sollte es auch möglich sein, geringere Eingriffsmöglichkeiten zu nutzen, die nicht zu einem Komplettausschluss eines beachtlichen Teils an Wählern führen.

Gilt das Wahlrecht auch außerhalb der Bundestagswahlen?

Auch bei Wahlen auf Landesebene (hier der Bayerische Landtag) gelten die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes.
Auch bei Wahlen auf Landesebene (hier der Bayerische Landtag) gelten die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes.
Ja. Zwar befindet sich Art. 38 GG im Grundgesetz-Abschnitt „Der Bundestag“ und gilt nach seinem Wortlaut zunächst einmal nur dafür. Das Landtagswahlrecht ist demgegenüber Sache der Länder und wird durch eigene Landeswahlgesetz festgelegt. Ebenso werden die Kommunalwahlen auf Gemeinde- und Landkreisebene durch entsprechende Landesgesetze geregelt.

Allerdings übernimmt Art. 28 Abs. 1 Satz GG die Wahlrechtsgrundsätze auch für Landtags- und Kommunalwahlen und gibt diesen einen groben Rahmen vor:

In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.

Diese Begriffe bedeuten insoweit das Gleiche wie in Art. 38 GG.

Wahlprüfung

Wer darf die Überprüfung einer Bundestagswahl beantragen?

Im Prinzip jeder. § 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes sagt:

Den Einspruch kann jeder Wahlberechtigte, jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Präsident des Bundestages einlegen.

Zu jeder Bundestagswahl werden in der Regel mehrere tausend Einsprüche eingereicht.

Wie läuft die Wahlprüfung ab?

Beanstandungen der Wahl werden beim neugewählten Bundestag eingereicht. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG sagt hierzu:

Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages.

Allerdings soll der Bundestag nicht Richter in eigener Sache sein. Es wäre den Abgeordneten möglicherweise auch eher unrecht, wenn sie selbst entscheiden müssten, ihre eigene Wahl wieder aufzuheben. Darum sieht Art. 41 Abs. 2 sogleich vor:

Gegen die Entscheidung des Bundestages ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig.

Bei diesem gerichtlichen Verfahren handelt es sich dann um die eigentliche Wahlprüfung.

Das genaue Prozedere ist gemäß Art. 41 Abs. 3 GG der Regelung durch Bundesgesetz vorbehalten. Dieses Bundesgesetz ist das Wahlprüfungsgesetz.

Was ist der Unterschied zwischen einem Wahleinspruch und einer Wahlprüfungsbeschwerde?

Als Einspruch wird gemeinhin der Antrag an den Bundestag bezeichnet, als Wahlprüfungsbeschwerde dann das gerichtliche Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bezeichnet.

Welche Fristen gelten?

Der Wahleinspruch ist innerhalb von zwei Monaten ab dem Wahltag einzulegen (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Wahlprüfungsgesetz).

Die Wahlprüfungsbeschwerde muss dann innerhalb von zwei Monaten ab der Entscheidung des Bundestags eingereicht werden (§ 48 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz).

Innerhalb der Frist muss jeweils auch eine Begründung eingereicht werden.

Welche Folge hat eine erfolgreiche Wahlanfechtung?

Das kommt darauf an. Im Falle einer Wahlanfechtung muss das Bundesverfassungsgericht nicht nur über die korrekte und verfassungskonforme Wahldurchführung entscheidet. Es muss, wenn die Wahlanfechtung erfolgreich ist, auch darlegen, wie weit der Wahlfehler reicht und dann die Konsequenzen bestimmen.

Dies kann im Einzelfall bedeuten:

  • Bloße Feststellung eines Verstoßes durch ein Wahlorgan ohne weitere Konsequenzen
  • Berichtigung des Wahlergebnisses
  • Wiederholung eines Teils oder der gesamten Wahl
  • Feststellung des Verfassungswidrigkeit von Vorschriften des Wahlgesetzes (ggf. mit Frist zum Erlass neuer Regelungen)
  • Auflösung des Parlaments und Anordnung von Neuwahlen
  • Nichtigerklärung der Wahl und Aufhebung aller Akte durch das so gewählte Parlament

In aller Regel bemüht sich vor allem das Bundesverfassungsgericht darum, eine auch politisch verträgliche Lösung zu finden, die keine Legitimitätsprobleme mit sich bringt und eine „elegante“ Behebung des Wahlfehlers ermöglicht.

Mehr Informationen:

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