(Letzte Aktualisierung: 25.01.2023)
Zum Verständnis der Grundrechte ist eine gewisse Kenntnis der allgemeinen Grundrechtsdogmatik unumgänglich. Diese Seite legt die Grundsätze dar, auf die die Grundrechtslehre in der Bundesrepublik aufbaut. Auch geschichtliche Aspekte sollen in der notwendigen Kürze dargelegt werden.
Geschichte
Wann wurden erstmals Grundrechte niedergeschrieben?
Die erste Grundrechtscharta war wohl die Bill of Rights der USA (damals noch der 13 selbstständigen Kolonien) aus dem Jahr 1776.
Die Charter of Liberties (1100) und die Magna Charta (1215) in Großbritannien regelten nur einige wenige Rechte und konnte diese auch nicht effektiv durchsetzen. Zudem handelte es sich mehr um Rechte des Adels in ihrer Beziehung zum König, weniger um solche der gesamten Bevölkerung gegenüber dem Staat.
Wie sind Grundrechte überhaupt entstanden?
In den meisten wurden Grundrechte nicht großzügigerweise durch den Staat eingeräumt, sondern waren Gegenleistung des Staates für eine Unterstützung durch die Bevölkerung bzw. Teile der Bevölkerung. Gerade in Großbritannien wurden dem Adel Rechte dafür eingeräumt, dass er den König finanziell oder militärisch unterstützte.
Kannte die Weimarer Reichsverfassung Grundrechte?
Schon, allerdings hatten diese eine andere Funktion als die Grundrechte des Grundgesetzes.
In der Weimarer Verfassung von 1919 gab es einen sehr umfangreichen Grundrechtsteil. Dieser war auch mit „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ umschrieben und umfasste die Artikel 109 bis 165.
Trotzdem waren diese Grundrechte nach Meinung der damaligen Staatsrechtslehre und Rechtsprechung kein bindendes Recht, sondern lediglich Staatszielbestimmungen. Die Gerichte mussten diese Grundrechte bei der Auslegung der Gesetze beachten, der Bürger konnte aber gegen eine Grundrechtsverletzung nicht selbst vorgehen.
Grundlagen
Wo finde ich die Grundrechte im Grundgesetz?
Abschnitt I des Grundgesetzes ist mit „Die Grundrechte“ überschrieben. Er findet sich unmittelbar nach der Präambel. Der Abschnitt beginnt mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die im Allgemeinen nicht als bloßes Grundrecht, sondern als über diesen stehende Verfassungsnorm gesehen wird. Art. 1 Abs. 2 und 3 definieren die Funktion der Grundrechte näher. Die Grundrechte im engeren Sinn finden sich in den Artikeln 2 bis 17. Die abschließenden Art. 18 und 19 widmen sich der Zulässigkeit von Eingriffen in die Grundrechte. Die Art. 101 bis 104 enthalten die sogenannten grundrechtsgleichen Rechte, auch als Justizgrundrechte bezeichnet.
Wie viele Grundrechte gibt es?
Das kommt darauf an. Es gibt keine verbindliche Zählung der Grundrechte.
Beispielsweise kann man die Gewissensfreiheit als eigenes Grundrecht oder als Teil der Religions- und Weltanschauungsfreiheit sehen.
Kunst- und Wissenschaftsfreiheit werden oft zusammen behandelt (so auch auf dieser Seite), weil sie dogmatisch ähnlich sind. Weil Kunst und Wissenschaft sonst aber nicht viel miteinander zu tun haben, kann man sie selbstverständlich auch voneinander trennen.
Insgesamt dürfte es ca. 40 Grundrechte (inkl. Justizgrundrechte) im Grundgesetz geben.
Was ist die Flucht ins Privatrecht?
Da nur der Staat an die Grundrechte gebunden ist, könnte der Staat durch Gründung von privatrechtlichen Unternehmen der Bindung entgehen, also „ins Privatrecht fliehen“. Daher nimmt man auch eine Grundrechtsbindung solcher Unternehmen an.
Ist der Staat auch bei der Fiskalverwaltung an die Grundrechte gebunden?
Nein, da er insoweit nicht mehr hoheitlich wie ein Staat tätig wird, sondern privatrechtlich wie ein privater Akteur („fiskalisch“). In diesem Bereich gibt es keinen Anlass für eine Grundrechtsbindung mehr. Der Bürger muss insoweit nicht mehr vor der Allmacht des Staates geschützt werden.
Sind Beliehene an die Grundrechte gebunden?
Ja. Wer als Privater hoheitliche Rechte wahrnimmt, muss auch wie der Staat selbst an die Grundrechte gebunden sein.
Wo gelten die Grundrechte?
Das ist noch nicht vollständig geklärt.
Der Grundfall ist, dass deutsche Staatsgewalt im Inland handelt und im Inland lebende Personen betrifft. Hier gelten die Grundrechte völlig unstrittig.
Aber auch, wenn deutsche Staatsorgane gegenüber Personen im Ausland handelt, gilt das Grundgesetz. Verbietet bspw. eine Behörde einem Ausländer die Einreise in die Bundesrepublik oder erhält ein ausländisches Unternehmen einen Steuerbescheid vom deutschen Finanzamt, sind die Grundrechte anwendbar.
Mittlerweile wird auch für unmittelbares, also nicht hoheitliches Handeln deutscher Staatsgewalt im Ausland (z.B. Militäreinsätze oder nachrichtendienstliche Tätigkeit) eine Grundrechtsbindung angenommen.
Umstritten ist noch die Geltung der Grundrechte für staatliches Handeln im Inland mit nur indirektem Auslandsbezug. Inwieweit deutsche Politik, die möglicherweise das weltweite Klima in gewissem Maße beeinflussen könnte, an den Grundrechten zu messen ist, hat das Bundesverfassungsgericht im „Klima-Urteil“ einigermaßen offen gelassen.
Insgesamt besteht wohl ein weitgehendes Abwehrrecht durch die Grundrechte gegen Eingriffe auch im Ausland.
Ein Anspruch auf Schutzmaßnahmen oder Leistungen der deutschen Staatsorgane im Ausland besteht dagegen in der Regel nicht. Diese scheitern schon häufig am territorialen Bezug der Staatsgewalt, dass deutsche Staatsorgane also nicht ohne Weiteres überhaupt in anderen Staaten handeln können.
Gibt es im Grundgesetz auch Grundpflichten?
Nicht wirklich. Es gibt lediglich drei Bestimmungen, die wie eine Grundpflicht klingen, tatsächlich aber etwas anderes darstellen.
Zum einen sagt Art. 6 Abs. 2 Satz 1, dass die Kindererziehung eine Pflicht der Eltern ist. Hieraus ergibt sich aber kein einklagbarer Anspruch. Niemand kann dazu verurteilt (und dann vom Gerichtsvollzieher dazu angehalten) werden, seine Kinder zu erziehen. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Appell an die Eltern bzw. um einen Rechtsgrund, warum der Staat die Eltern überwachen (Abs. 2 Satz 2) und ihnen ggf. ihr Sorgerecht entziehen kann (Abs. 3). Wäre die Kindererziehung ein reines Recht der Eltern, wäre nicht verständlich, wie sie dieses Recht verlieren können und warum hier überhaupt die Rechtsausübung zu kontrollieren ist.
Außerdem gibt es Art. 9 Abs. 3 Satz 2, der die Koalitionsfreiheit mit Drittwirkung ausstattet. Hier wird aber lediglich der Adressatenkreis der Grundrechte erweitert, indem auch Privatpersonen einbezogen werden. Es wird lediglich ein Verbot ausgesprochen, keine Handlungspflicht auferlegt.
Schließlich ist noch an Art. 12a GG zu denken, der die Wehrpflicht ermöglicht. Allerdings begründet dieser Artikel selbst keine Pflicht, er erlaubt lediglich ein Gesetz, das die Wehrpflicht vorschreibt. Insoweit stellt er also eine Eingriffsermächtigung und -beschränkung dar, hat aber keine unmittelbare Rechtswirkung.
Echte Grundpflichten kennt bspw. die Bayerische Verfassung hinsichtlich der Übernahme von Ehrenämtern (Art. 121 Satz 1), der Hilfe bei Unglücken (Art. 122) und der Schulpflicht (Art. 129 Abs. 1). Dass sich diese Pflichten in der Verfassung und nicht nur in einfachen Gesetzen finden, hat allerdings kaum praktische Bedeutung. Ähnliches galt auch in der Weimarer Reichsverfassung, wobei die Artikel 132 und 133 von sich aus auf gesetzliche Pflichten verwiesen.
Ist ein Verstoß gegen Grundrechte strafbar?
Grundsätzlich nicht, es gibt keinen Straftatbestand, der „Verstoß gegen Grundrechte“ o.ä. lauten würde.
Wenn ein Amtsträger ein Grundrecht verletzt, kann das aber unter Umständen einen „normalen“ Straftatbestand erfüllen: Wer eine andere Person rechtswidrig einsperrt, macht sich der Freiheitsberaubung schuldig. Wer einen Bürger verletzt, begeht eine Körperverletzung. Einzelne dieser Taten unterliegen außerdem einer höheren Strafdrohung, wenn sie durch einen Beamten begangen wurden (z.B. § 340 StGB – Körperverletzung im Amt).
Häufig wird es jedoch zu keiner Strafverfolgung kommen, weil das Handeln des Amtsträgers erlaubt war oder er zumindest davon ausgehen konnte, dass sein Handeln gerechtfertigt ist.
Was sind Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte und Teilhaberechte?
Die Grundrechte werden in verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine solche Einteilung ist die Unterscheidung zwischen Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechten.
Dies bedeutet im Einzelnen:
- Freiheitsrechte sind die klassischen Grundrechte im Sinne von Abwehrrechten gegen den Staat.
- Gleichheitsrechte verbürgen dagegen die Gleichbehandlung aller Bürger durch den Staat. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz steht in Art. 3 Abs. 1 GG, spezielle Regelungen finden sich dagegen z.B. in Art. 3 Abs. 2 (Gleichbehandlung der Geschlechter), Art. 3 Abs. 3 (diverse Benachteiligungsverbote), Art. 12 Abs. 2 (Dienstleistungspflicht nur allgemein möglich), Art. 33 Abs. 2 (gleicher Zugang zu Ämtern) oder auch Art. 38 Abs. 1 (Gleichheit der Wahl).
- Teilhaberechte beinhalten einen Anspruch auf eine staatliche Leistung durch bestimmte Gruppe, z.B. der Mutterschutz in Art. 6 Abs. 4 GG. Ob es sich dabei tatsächlich um ein Grundrecht im eigentlichen Sinn oder eher um eine sozialrechtliche Vorschrift in der Verfassung handelt, ist aber umstritten.
Was ist die „gemeinschaftsbezogene und gemeinschaftsgebundene Person“?
Das traditionelle Menschenbild sieht den einzelnen Menschen als Individuum, das in seiner Freiheit vom Staat bedroht wird und daher die Grundrechte als Abwehrrechte gegen die Übergriffe des Staates benötigt.
Diesem liberalen Verständnis hat das Bundesverfassungsgericht ein eigenes Bild entgegengesetzt, nämlich das der „gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Person“. Demnach ist der Einzelne Teil der Gesellschaft und an seine Rolle in dieser gebunden. Er „muss sich die Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht“.
Damit müssen die Interessen des einzelnen Menschen hinter denen der Gesellschaft zurückstehen. Grenzen dessen sind das „allgemein Zumutbare“ sowie die „Eigenständigkeit der Person“. Der Staat hat also trotzdem nicht das Recht, die Grundrechte vollends unter Gemeinschaftsinteressen unterzuordnen. Eine genaue Grenzlinie lässt sich aber abstrakt kaum ziehen.
Was besagt die Heck’sche Formel?
Die Heck’sche Formel legt fest, wann das Bundesverfassungsgericht ein mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenes Urteil aufheben darf. Hierfür definiert sie den Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts.
Demnach beschäftigt sich das BVerfG nicht mit der Frage, ob das Urteil sachlich richtig ist. Dies müssen die Fachgerichte (also Zivilgericht, Strafgericht oder Verwaltungsgericht) selbst klären.
Verfassungsrechtlich entscheidend ist nur, ob das Fachgericht Fehler bei der Anwendung von Grundrechten gemacht hat. Dies ist dann der Fall, wenn ein Grundrecht überhaupt nicht gesehen wurde oder unrichtige Anschauungen hinsichtlich der Bedeutung oder des Schutzumfangs eines Grundrechts für das Urteil ursächlich sind.
Namensgeber ist Karl Heck, der Verfassungsrichter, auf den diese Abgrenzung zurück ging. Er formulierte sie in einer Entscheidung über einen patentverfahrensrechtlichen Fall (1 BvR 37/63).
Welcher Rechtsanwalt kann mich vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten?
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht muss man sich gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG durch einen Rechtsanwalt (oder theoretisch auch durch einen Jura-Professor) vertreten lassen. Dafür kann man aber grundsätzlich jeden Rechtsanwalt nehmen, dieser muss nicht etwa eigens vor dem BVerfG zugelassen sein.
Natürlich empfiehlt es sich, dafür einen Anwalt zu engagieren, der Erfahrung in diesem Rechtsgebiet hat und sich für das Verfassungsrecht besonders interessiert. Die Zahl der auf Verfassungsbeschwerden spezialisierten Rechtsanwälte ist relativ gering.
Grundrechtsberechtigte
Wer kann sich auf Grundrechte berufen?
Einige Grundrechte stehen schon einmal nur Deutschen zu (z.B. Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1). Die meisten kann aber grundsätzlich jeder Bürger in Anspruch nehmen. Bei Firmen sieht es schon wieder anders aus, da müssen die Grundrechte dem Wesen der Firma nach überhaupt sinnvoll sein (Art. 19 Abs. 3) – da scheidet bspw. die Menschenwürde naheliegenderweise aus. Ob und wie Gemeinden Grundrechte geltend machen können, ist wieder äußerst strittig. Auf jeden Fall kann sich aber nur der auf ein Grundrecht berufen, der es wirklich selbst ausüben will und der in seinem Recht auch persönlich eingeschränkt wird (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a BVerfGG).
Auf welcher Rechtsgrundlage werden EU-Bürgern auch die Deutschen-Grundrechte zuerkannt?
Während das Ergebnis klar ist, ist die gesetzliche Verankerung streitig.
Entweder wendet man das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV direkt an, was als europarechtliche Ergänzung gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG zulässig ist. Oder man belässt es bei der exklusiven Wirkung der Deutschen-Grundrechte, erweitert dafür aber den Schutzbereich des Jedermann-Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG für EU-Bürger auf die Schutzbereiche der Deutschen-Grundrechte.
Sind Minderjährige grundrechtsfähig?
Ja, die Geschäftsfähigkeit ist keine Voraussetzung der Grundrechtsfähigkeit. Lediglich die gerichtliche Durchsetzung kann aufgrund der Regelungen zur Prozessfähigkeit schwerer sein, da bspw. ein Vertreter für das Kind handeln muss.
Kann man auf Grundrechte verzichten?
Das ist strittig.
Teilweise sind Grundrechtsverzichte ausdrücklich geregelt, so etwa in Art. 16 Abs. 1 oder Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG. Hier ergibt sich kein Problem.
In den übrigen Fällen ist wohl nach der Intensität des Verzichts und nach den Umständen der Verzichtsentscheidung zu unterscheiden.
Ist ein Totalverzicht auf ein Grundrecht zulässig?
Nein.
Hier wäre die Intensität des Verzichts zu groß. Ein unbeschränkter Verzicht auf ein Grundrecht würde einem enorme Missbrauchsgefahr herbeiführen.
Wie wirkt sich ein wirksamer Grundrechtsverzicht aus?
Wurde auf das Grundrecht verzichtet, handelt es sich bei einer staatlichen Maßnahme insoweit schon um keinen Grundrechtseingriff. Denn was nicht vorhanden ist, weil darauf verzichtet wurde, kann nicht Gegenstand eines Eingriffs sein.
Was ist der persönliche Schutzbereich eines Grundrechts?
Der persönliche Schutzbereich des Grundrechts klärt die Frage, wer sich auf dieses berufen kann. Zu trennen ist hier insbesondere zwischen
- Deutschen,
- Ausländern und
- juristischen Personen.
Können sich nur Menschen auf Grundrechte berufen?
Nein, die Grundrechte gelten auch für juristische Personen, also Unternehmen (Firmen), Vereine und andere Zusammenschlüsse.
Allerdings schränkt Art. 19 Abs. 3 GG die etwas ein:
Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
Wann ist eine juristische Person „inländisch“?
Die Inländereigenschaft eine juristischen Person ergibt sich nach ihrem tatsächlichen Handlungsraum. Sie muss ausreichenden Bezug zum Geltungsbereich des Grundgesetzes aufweisen.
Dabei sind wiederum die Gesellschaften aus dem Bereich der EU als inländisch aufzufassen. Dies ergibt sich hier – mangels anderer Rechtsnorm – direkt aus Art. 18 AEUV.
Haben auch juristische Personen des öffentlichen Rechts Grundrechte?
Grundsätzlich sind Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind also nicht grundrechtsberechtigt, sodnern grundrechtsverpflichtet. Sie müssen die Grundrechte der Bürger beachten, können sich selbst aber nicht auf die Grundrechte berufen.
Ausnahmen gibt es jedoch, wenn die Grundrechte gerade auf die juristischen Personen des öffentlichen Rechts zugeschnitten sind. Dies wird angenommen bei
- öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften (Art. 4, 140 GG i.V.m. 137 WRV),
- öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 1 GG) und
- Universitäten (Art. 5 Abs. 3 GG).
Auch die Justizgrundrechte können öffentlich-rechtliche Körperschaften wahrnehmen. Wenn also bspw. eine Gemeinde in einem Verwaltungsprozess verklagt, hat sie – wie jeder andere Beteiligte auch – das Recht auf ein faires Verfahren, auf den gesetzlichen Richter, auf rechtliches Gehör usw.
Soll Art. 19 Abs. 3 GG den Schutz ausländischer juristischer Personen verhindern?
Nein, die Formulierung ist nicht als Ausschluss ausländischer juristischer Personen zu verstehen, sondern soll den Schutz der Grundrechte gerade erweitern. Diese Erweiterung soll allerdings nicht ausufern, weswegen für juristische Personen ein Inlandsbezug verlangt wird.
Dürfen ausländische juristische Personen als Rechtsreflex geschützt werden?
Ja, dies ist unproblematisch. Denn Art. 19 Abs. 3 GG ist eben nicht dafür da, grundrechtlichen Schutz zu verhindern (siehe vorherige Frage).
Daher ist es unproblematisch, wenn grundrechtlicher Schutz für eine natürliche oder für eine inländische juristische Person auf eine ausländische juristische Person „abfärbt“.
Beispiel:
A ist Vorsitzender des ausländischen Vereins V. Weil der Bundesnachrichtendienst den Verein V für extremistisch hält, überwacht sie die Telekommunikation des Vorsitzenden A. A erfährt dies.
A kann sich nun bspw. auf sein Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG berufen und sich gegen die Überwachung zur Wehr setzen.
Die Tatsache, dass dies auch dem nicht grundrechtsfähigen Verein V zugute kommt, ist unschädlich. Denn Art. 19 Abs. 3 GG soll nicht dazu führen, dass die Grundrechte des A verdrängt werden.
Grundrechtsinhalte
Muss mir der Staat helfen, meine Grundrechte auszuüben?
Grundrechte sind Abwehrrechte, ich kann mir also eine Einmischung des Staates in diese geschützten Bereiche verbitten; das bedeutet aber nicht, dass ich einen Anspruch darauf hätte, mein Grundrecht auch ausüben zu können. Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 2) bedeutet, dass mir der Staat nicht einfach das Beten verbieten darf; er muss mir aber auch keine Kirche bauen. Ich darf mir zwar meinen Beruf selbst aussuchen (Art. 12 Abs. 1), ich habe aber kein aus sozialistischen Staaten bekanntes Recht auf Arbeit. Und ein Recht auf Bildung bedeutet kein kostenloses Studium bis zum 28. Semester. Wem das ungerecht vorkommt, der soll sich einmal vor Augen führen, was ansonsten ein Recht auf kostenloses Eigentum (Art. 14) bedeuten würde.
Was ist die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte?
Darunter versteht man die Notwendigkeit, alle Gesetze und Rechtsnormen grundsätzlich verfassungskonform auszulegen und somit auch die Grundrechte zu beachten. Alle Gesetze sind stets so zu interpretieren, dass die die Grundrechte nicht verletzen.
Gibt es Schutzpflichten des Staates aus den Grundrechten?
Ja, zumindest, soweit das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1) betroffen ist. Hier hat der Staat eine gewisse präventive Rolle.
Wie er diese wahrnimmt, ist dem Gesetzgeber aber überlassen. Dies kann sowohl durch Verbote als auch durch ein alle Interessen berücksichtigendes Genehmigungsverfahren erfolgen.
Was ist der status positivus?
Als status positivus bezeichnet man die Funktion der Grundrechte als Teilhaberechte. Soweit es staatliche Einrichtungen, Leistungen oder Verfahren gibt, kann jeder Bürger beanspruchen, in deren Rahmen nicht schlechter als andere Menschen behandelt zu werden. Dies leitet sich aus Art. 3 Abs. 1 (Gleichbehandlungsgebot) ab.
Was ist der status activus?
Als status activus bezeichnet man das Teilnahmerecht des Bürgers am staatlichen Leben, insbesondere das aktive und passive Wahlrecht, aber auch das Recht auf Engagement in Parteien, bei Volksbegehren u.ä.
Was ist der sachliche Schutzbereich eines Grundrechts?
Der sachliche Schutzbereich des Grundrechts umfasst die Handlungen, die vom Grundrecht geschützt werden sollen.
Wann kann eine Schutzpflicht aus den Grundrechten abgeleitet werden?
Grundsätzlich muss sich der Staat „schützend und fördernd vor die Grundrechte stellen“. Er muss also die Grundrechte auch dort beachten, wo andere Personen in die Grundrechte Dritter eingreifen – obwohl diese Personen natürlich selbst nicht an die Grundrechte gebunden sind. Damit der Staat aber keine komplette Grundrechtsbindung anderer Bürger herbeiführen muss, bestehen Schutzpflichten nur in geringem Maße.
Zum einen muss ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut betroffen sein. Es muss sich also um eine Situation handeln, in der ein Eingriff in das Grundrecht nur deswegen nicht zu bejahen ist, weil der Eingreifende nicht der Staat ist.
Daneben muss auch eine Gefährdungslage bestehen. Das Rechtsgut muss also tangiert, mindestens schon gefährdet sein.
Und schließlich muss noch eine staatliche Handlungspflicht im engeren Sinne gegeben sein. Das ist der Fall, wenn eine Verletzung des sog. Untermaßverbots vorliegt, also ein Nichthandeln unzureichend wäre.
Was ist das Untermaßverbot?
Das Untermaßverbot verpflichtet den Staat dazu, zumindest gewisse Maßnahmen zu ergreifen, um die Grundrechte von Bürgern zu schützen.
Eine exakte Definition ist meist nicht möglich: Ein Untermaß liegt nur vor, wenn der Staat nicht einmal das Minimum dessen tut, was von ihm angesichts der Bedeutung des Grundrechts erwartet werden kann. Wie viel dies aber jeweils ist und woran sich die notwendige Schutzintensität misst, ist kaum objektiv zu bestimmen.
Was sagt das Lüth-Urteil aus?
Im Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Grundrechte auch im Zivilrecht, insbesondere in Generalklauseln, zu beachten sind.
Grundsätzlich binden Grundrechte nur den Staat. Sie gelten nicht im Verhältnis zwischen Bürgern. Andererseits werden aber strittige Rechtsverhältnisse zwischen Bürgern häufig durch staatliche Urteile bestimmt, in deren Rahmen die Grundrechte dann doch wieder gelten müssen. Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Schluss, dass das Zivilrecht im Geiste des Grundgesetzes ausgelegt werden muss.
Im Lüth-Urteil ging es darum, dass der Beklagte zum Boykott eines bestimmten Films aufgerufen hatte. Daraufhin wurde er auf die Klage des Filmproduzenten zur Unterlassung dieses Boykottaufrufs verurteilt. Das BVerfG hob das Urteil auf, da das Gericht die Meinungsfreiheit des Beklagten nicht ausreichen berücksichtigt hatte. Liest man nämlich Art. 5 GG in die einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften hinein, so ist ein solcher Aufruf als Ausdruck der Meinungsfreiheit gerechtfertigt.
Verlangen die Grundrechte eine bestimmte Wirtschaftsverfassung?
Im Ergebnis ja.
Zwar wird allgemein vertreten, dass das Grundgesetz keine Aussage dazu trifft, welche Wirtschaftsform in der Bundesrepublik herrschen muss. Kapitalismus und Sozialismus seien beide möglich, die Entscheidung obliege dem Gesetzgeber und die aktuell geltende soziale Marktwirtschaft sei eine legitime Form.
Tatsächlich ist es aber kaum vorstellbar, wie eine (vollständig) sozialistische Wirtschaftslenkung mit Grundrechten wie der Berufsfreiheit, dem Eigentumsrecht und der allgemeinen Handlungsfreiheit (insb. als Vertragsfreiheit) vereinbar sein soll. Eine Abhängigkeit des Einzelnen vom Staat käme auch in Konflikte mit der Menschenwürde.
Nicht-Grundrechte
Gibt es Deutschland ein Grundrecht wie das First Amendment?
Nicht in dieser Form.
Das First Amendment in den USA, also der erste Zusatz zur amerikanischen Verfassung, verbietet jede Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Ein solches Grundrecht gibt es hierzulande nicht. Die Meinungsfreiheit existiert nur sehr rudimentär und kann praktisch beliebig durch den Gesetzgeber begrenzt werden.
Gibt es Deutschland ein Grundrecht wie das Second Amendment?
Nein.
Ein Grundrecht auf Waffenbesitz wie in den USA (aber bspw. auch in Tschechien) kennen das Grundgesetz und die Landesverfassungen nicht. Zwar ist auch der Besitz von Waffen durch die allgemeine Handlungsfreiheit und das Eigentumsgrundrecht geschützt, allerdings ist dieser Schutz sehr viel geringer ausgeprägt.
Gibt es ein Verbot von „cruel and unusual punishment“?
Das Eighth Amendment zur US-Verfassung besagt:
Excessive bail shall not be required, nor excessive fines imposed, nor cruel and unusual punishments inflicted
Eine Rolle spielt dies unter anderem im Zusammenhang mit der Todesstrafe, die unter gewissen Umständen als grausame und ungewöhnliche Strafart begriffen wird.
Ein derartiges ausdrückliches Grundrecht gibt es im Grundgesetz nicht. Allerdings verbietet Art. 102 GG die Todesstrafe. Diese wie auch andere körperliche oder im weiteren Sinne grausame Behandlungen durch den Staat sind aber in aller Regel als Verletzung der Menschenwürde verboten.
Ist „in dubio pro reo“ ein Grundrecht?
„In dubio pro reo“ bezeichnet die prozessuale Regel, dass nur strafrechtlich verurteilt werden kann, wer nachweislich schuldig ist. Gibt es Zweifel an der Schuld, so muss der Angeklagte freigesprochen werden, auch wenn seine Unschuld ebenso unbewiesen ist. Darum bezeichnet man diesen Grundsatz auch als den Zweifelssatz.
Ein separates Grundrecht, das dies ausdrücklich verfassungsrechtlich festschreiben würde, gibt es aber nicht. Ob der Grundsatz Verfassungsrang hat, weil er sich aus anderen Grundrechten ableiten lässt, ist immer noch umstritten.
Mehr dazu: „In dubio pro reo“ als Grundrecht?
Gibt es Deutschland ein Grundrecht auf Arbeit?
Nein.
Die Wahl einer Arbeitsstelle ist natürlich durch die Berufsfreiheit geschützt. Aber ein Recht darauf, eine Arbeit zu bekommen und nicht arbeitslos sein zu müssen, gibt es nicht.
Ein solches „Recht auf Arbeit“ gab es in sozialistischen Ländern, in denen der Staat einziger oder hauptsächlicher Arbeitgeber war und beliebig sinnlose Posten kreieren konnte, um Arbeitslosigkeit zu verschleiern. In demokratische Gesellschaften ist dies aber nicht möglich.
Gibt es ein Grundrecht auf Notwehr?
Nein.
Es gibt lediglich ein Widerstandsrecht zugunsten staatlicher Rechtsgüter, insbesondere zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Das Recht, sich gegen rechtswidrige Angriffe Dritter auf eigene Interessen zu wehren, kann sich allenfalls aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie aus dem jeweils angegriffenen Rechtsgut ergeben.
Gibt es ein Sport-Grundrecht?
Grundsätzlich nicht, das Grundgesetz erwähnt den Sport als Rechtsmaterie überhaupt nicht.
Das bedeutet aber nicht, dass der Sport ein grundrechtsfreier Raum wäre. Vielmehr sind, je nach Kontext, allgemeine Grundrechte auch auf den Sport anwendbar:
- Sportvereine können sich auf die Vereinigungsfreiheit berufen.
- Bestimmte Sportarten wie Ausdruckstanz oder ausgefallenere Eislaufküren können unter die Kunstfreiheit fallen.
- Berichte über Sportveranstaltungen gehören zur Pressefreiheit.
- Profisportler werden von der Berufsfreiheit geschützt.
- Hobbysport fällt unter die allgemeine Handlungsfreiheit.