CDU-Politiker Peter Tauber hat angeregt, Verfassungsfeinden die Grundrechte zu entziehen. Die entsprechende Vorschrift müsse, so der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete, endlich einmal angewandt werden. Darum ein paar Antworten zu dieser Thematik.
Kann man Grundrechte überhaupt aberkennen lassen?
Ja, Art. 18 des Grundgesetzes sieht dies ausdrücklich vor:
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Können auch andere als die dort genannten Grundrechte aberkannt werden?
Nein, dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Aufzählung. Die Norm listet explizit alle Grundrechte auf, deren Aberkennung zulässig ist. Auf andere Grundrechte kann sie darum nicht ausgeweitet werden.
Wem können die Grundrechte aberkannt werden?
Grundsätzlich jedem Grundrechtsträger. Das sind zum einen alle natürlichen Personen (Menschen) als auch juristische Personen (Vereine, Unternehmen etc.), soweit diesen überhaupt Grundrechte zukommen.
Politische Parteien können auf diese Weise aber nach ganz herrschender Meinung nicht eingeschränkt werden, hier muss vielmehr ein Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG) durchgeführt werden.
Wer kann den Antrag stellen?
Die Antragsberechtigung richtet sich nach § 36 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Berechtigt sind demnach nur der Bundestag, die Bundesregierung sowie eine Landesregierung.
Wer entscheidet über den Antrag?
Ausschließlich das Bundesverfassungsgericht, und zwar in voller Senatsbesetzung mit acht Richtern. Zuständig ist gemäß § 14 Abs. 2 BVerfGG der Zweite Senat.
Können auch andere staatliche Stellen feststellen, dass die Aberkennungsvoraussetzungen vorliegen?
Nein. Das Entscheidungsmonopol liegt ausschließlich beim BVerfG.
Darum dürfen andere Behörden oder Gerichte nicht selbst annehmen, dass jemand die Grundrechte missbraucht, und sie darum einfach ignorieren. Die Schutzwirkung eines Grundrechts endet erst, sobald das BVerfG die entsprechende Entscheidung getroffen hat.
Unter welchen Voraussetzungen ist eine Aberkennung möglich?
Grundsätzlich müssen – über den Wortlaut des Art. 18 GG hinaus – drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Betroffene hat eines der genannten Grundrechte missbraucht, um gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu kämpfen.
- Er muss im Moment der Entscheidung einer Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen.
- Es müssen Anhaltspunkte vorliegen, dass er auch in Zukunft eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sein wird.
Hinzu kommt, dass die Aberkennungsentscheidung so tiefgreifend ist, dass sie ultima ratio bleiben muss. Solange also übliche Maßnahmen des Straf- oder Verwaltungsrechts reichen, um die Person an ihrem Kampf zu hindern, darf eine Verwirkung nicht ausgesprochen werden.
Was bedeutet freiheitlich-demokratische Grundordnung?
Unter die FDGO werden nur ganz zentrale Verfassungsgrundsätze gefasst, die für eine freiheitliche Ordnung schlicht unerlässlich sind. Darunter werden insbesondere die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip verstanden.
Was ist ein „Kampf“ in diesem Sinne?
Als Kampf wird nicht jede Betätigung, sondern nur ein aktiv-kämpferisches Verhalten verstanden, das die Verfassungsordnung tatsächlich und dauerhaft beseitigen soll.
Davon abgesehen darf natürlich jeder das Grundgesetz oder die Demokratie insgesamt ablehnen und dies auch nach außen kundtun, sofern er keine Schritte unternimmt, die auf die Beseitigung der FDGO gerichtet sind.
Wann stellt man eine Gefahr für die FDGO dar?
Eine Gefahr stellt nur dar, wer tatsächlich eine (auch entfernt liegende) Aussicht darauf hat, seine Vorstellungen durchzusetzen. Das verlangt eine gewisse Effektivität und Zielgerichtetheit der Anstrengungen, die im verfassungsgerichtlichen Verfahren der Antragsteller darlegen und nachweisen muss.
Wer bspw. – was durchaus praxisrelevant ist – eine Zeitung oder eine Webseite herausgibt, die zur Beseitigung der Demokratie aufruft, kann die Pressefreiheit nur verlieren, wenn er zumindest einen zahlenmäßig bedeutsamen Leserkreis besitzt.
Was darf man überhaupt noch, wenn einem Grundrechte aberkannt wurden?
Die Aberkennung bedeutet nicht, dass man plötzlich nichts mehr tun dürfte, was unter das aberkannte Grundrecht fällt. Es bedeutet nur, dass man sich nicht mehr auf die Freiheitsgarantie des jeweiligen Grundrechts berufen darf.
Wer bspw. die Meinungsfreiheit nicht mehr nutzen darf, darf trotzdem noch seine Meinung sagen. Allerdings können Behörden leichter (bspw. aufgrund des Sicherheits- oder Polizeirechts) Meinungsäußerungen verbieten, weil sie eben das Grundrecht nicht mehr beachten müssen. Gerichte können eher auf eine Verurteilung z.B. wegen Beleidigung erkennen, weil sie bei der Auslegung der Strafnorm die Meinungsfreiheit nicht heranziehen müssen.
Insoweit ist auch zu beachten, dass die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) jegliches Tun oder Unterlassen schützt. Nur ist die Schutzintensität hier nicht so groß wie bei einem spezifischen Grundrecht, sodass Behörden und Gerichte leichter darüber hinweg gehen können.
Genauere Auswirkungen auf die Praxis lassen sich aber nur mutmaßen, denn:
Wie oft kommen solche Grundrechtsaberkennungen vor?
Nie. Die Vorschrift befindet sich seit 1949 im Grundgesetz. In diesen 70 Jahren gab es anscheinend gerade einmal vier Verfahren gegen insgesamt fünf Personen, alle aus dem rechtsextremen Spektrum.
In keinem einzigen Fall kam es zu einer Verurteilung. Die Anträge wurden allesamt zurückgewiesen, weil die Antragsteller diese hohen Voraussetzungen nicht nachweisen konnten.