Es handelt sich um einen der bekanntesten Sätze des Grundgesetzes und zugleich um den kürzesten. Dieser Prägnanz ist wohl auch seine Bekanntheit geschuldet – und der Tatsache, dass er vielen Menschen irgendwie ein wohliges Gefühl bereitet.
Dieser Satz lautet: Eigentum verpflichtet.
Gegengewicht zur liberalen Ordnung
Seine Entstehung verdankt er der Tatsache, dass in den Volksparteien im Parlamentarischen Rat sozialistische Gedanken sehr weit verbreitet waren (wenngleich natürlich nicht so weit verbreitet wie heute). Dieser Satz und viele andere auch sollten der liberalen Verfassungsordnung der Grundgesetzes und seiner marktwirtschaftlichen Ausrichtung zumindest teilweise entgegentreten.
Aber was bedeutet dieser Satz nun konkret? Wozu verpflichtet das Eigentum?
Um das beantworten zu können, muss man sich unbedingt die Systematik des Eigentumsrecht im Grundgesetz anschauen, also beachten, wo dieser Satz überhaupt steht. Art. 14 Abs. 1 und 2 GG lauten:
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Eigentum als normgeprägtes Grundrecht
Zunächst einmal beginnt diese Vorschrift mit der Gewährleistung des Eigentums. Das Grundgesetz respektiert also das Eigentums und geht davon aus, dass es sich um eine allgemein bekannte Institution handelt. Näher definiert wird das Eigentum aber nicht. Das wird den (einfachen) Gesetzen überlassen, die „Inhalt und Schranken“ dieses Rechts bestimmen. Daher bezeichnet man das Eigentum auch als normgeprägtes Grundrecht.
Freilich muss man den Parlamentarischen Rat, der diese Bestimmungen beschlossen hat, auch in Schutz nehmen: Dass der Staat das Eigentum des Bürgers derart umfassend regeln und einschränken würde wie dies mittlerweile der Fall, war 1949 in keiner Weise absehbar.
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt also explizit auch gesetzliche Schranken für das Eigentum. Diese sind – sofern sie gewisse Anforderungen wie die Verhältnismäßigkeit erfüllen – nicht verfassungswidrig. Und in diesem Kontext muss man auch den gesamten zweiten Absatz lesen.
Die Verpflichtung des Eigentümers, die mit seinem Eigentum einhergeht, ist Teil der Schrankenbestimmungen. Das bedeutet, dass sich diese Pflichten nicht automatisch aus dem Eigentum selbst ergeben.
Beispiel Tierschutz
So entsteht bspw. die Pflicht eines Tierhalters, ordentlich für dieses Tier (das so gesehen auch „nur“ Eigentum ist) [[https://jura-medial.de/2018/09/tierschutz-tiere-sind-keine-sachen/]] zu sorgen, nicht direkt aus dem Grundgesetz, sondern erst aus den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes. Behauptet aber nun ein Tierhalter, dass ihm das Tierschutzgesetz unzumutbare Pflichten auferlegt und damit sein Eigentumsgrundrecht verletzt, wird ihn der Gesetzgeber auf die Schranken seines Eigentums und seine Pflichtenstellung durch das Eigentum verweisen.
Ob die konkrete Regelung nun das Eigentumsgrundrecht wahrt oder nicht, muss geprüft werden. Dass ein Landwirt seine Tiere artgerecht ernähren und unterbringen muss, ist sicher angemessen. Dass er ihnen auch einen Herzschrittmacher spendiert, ist dagegen wohl zu viel verlangt. Qualzuchten kann der Staat verbieten, die normale Zucht zur Optimierung des Ertrags nicht so leicht.
Einschränkungen zugunsten öffentlicher Interessen
Auch bei „richtigen“ Sachen kann deren Verwendung eingeschränkt werden, auch wenn der Schutz der Sache selbst dann merklich in den Hintergrund rückt. Ob einem Auto nun regelmäßige Pflege zu teil wird, ist allein Sache des Eigentümers. Wenn es dagegen vor sich hin rostet und Öl ins Grundwasser läuft oder eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellt, sind auch öffentliche Interessen betroffen.
Gerade im Bereich des Mietrechts werden die Einschränkungen des Eigentums neuerdings immer massiver. So wird bspw. das Zweckentfremdungsverbot, das dem Eigentümer einer Wohnung weitgehend untersagt, diese für etwas anderes als zum Wohnen zu nutzen, häufig damit begründet, dass nur so dem Wohl der Allgemeinheit (insb. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG) in einem angespannten Wohnungsmarkt gedient ist.
Braucht es Art. 14 Abs. 2 GG überhaupt?
Nun scheint es aber so, dass man all diese Einschränkungen auch direkt über die Schrankenbestimmung (Abs. 1 Satz 2) lösen könnte. Und tatsächlich ist dem auch so, dass die Literatur und die Rechtsprechung von einem einheitlichen Einschränkungstatbestand ausgehen. Absatz 2 bringt also keine zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Aber gibt es denn nicht wenigstens irgendeine Pflicht, die man aus dieser formschönen Phrase „Eigentum verpflichtet“ herleiten könnte?
Ich habe zu dieser Frage sieben Grundgesetzkommentare – von denen ich fünf zu den Standardwerken zählen würde und zwei eher der Abrundung dienen – konsultiert. In keinem davon steht eine konkete Pflicht, die sich aus dem Eigentum ergibt. Ich entnehme dem, dass die Rechtsprechung es bislang tatsächlich noch nicht für nötig befunden hat, eine konkrete Pflicht festzuschreiben.
Auch die Suchfunktion auf der Internetseite des Bundesverfassungsgerichts sowie in juristischen Datenbanken fördert keine Entscheidung zu Tage, die eine verfassungsunmittelbare Verpflichtung des Eigentümers annehmen würde. Die Vorschrift wird ganz gerne einmal bekräftigend erwähnt, ist aber niemals tragend für irgendeine Entscheidung. Es liegt vielmehr stets am Gesetzgeber, die Eigentümerpflichten zu konkretisieren. Das dürfte er aber, wie gesagt, auch schon nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Verfassungsprosa
Der gesamte Absatz 2 ist damit eher als plakative programmatische Aussage und weniger als eine Verfassungsbestimmung zu sehen. Sie wäre prinzipiell völlig verzichtbar – Verfassungsprosa nennt man das auch.
Allenfalls als Argument dafür, eine Schrankenbestimmung zu erlassen, taugt sie. Der Gesetzgeber kann sich auf diese Weise darauf hinausreden, er setze nur die Forderungen der Verfassung um. Tatsächlich verlangt das Grundgesetz aber keineswegs, dass das Eigentum beschränkt wird, schon gar nicht in einer bestimmten Weise. Wenn der Gesetzgeber in die Rechte des Bürgers eingreifen will, dann hat er das ausschließlich selbst zu verantworten.