Inmitten der Corona-Pandemie werden immer neue Rechtsvorschriften erlassen, um diese einzudämmen oder in anderer Form dagegen anzugehen. Sie alle haben gemeinsam, dass dem Staat und seinen Behörden zusätzliche Kompetenzen gegeben werden und die Rechte der Bürger eingeschränkt werden oder eingeschränkt werden können.
Aktuell wird – obwohl ein Impfstoff gegen das Corona-Virus noch gar nicht vorliegt – ein Gesetzesentwurf mit einer Impfpflicht bzw. einem Grundrechtsverlust für nicht geimpfte Personen in Verbindung gebracht.
Zweites Epidemieschutzgesetz
Dieser Gesetzesentwurf nennt sich in Langform „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und liegt derzeit noch in Form einer Formulierungshilfe vor.
Art. 1 Nr. 20 Buchstabe a) dieses Gesetzesentwurfs sieht eine Änderung von § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes vor. Unverändert bleiben Satz 1 und 2 dieser Vorschrift, die unter anderem Aufenthaltsbeschränkungen und Veranstaltungsverbote vorsehen. Allerdings werden danach mehrere Sätze eingefügt:
Bei der Anordnung und Durchführung von Schutzmaßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 ist in angemessener Weise zu berücksichtigen, ob und inwieweit eine Person, die eine bestimmte übertragbare Krankheit, derentwegen die Schutzmaßnahmen getroffen werden, nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft wegen eines bestehenden Impfschutzes oder einer bestehenden Immunität nicht oder nicht mehr übertragen kann, von der Maßnahme ganz oder teilweise ausgenommen werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Soweit von individualbezogenen Maßnahmen abgesehen werden soll oder Ausnahmen allgemein vorgesehen werden, hat die betroffene Person durch eine Impf- oder Immunitätsdokumentation nach § 22 oder ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, dass sie die bestimmte übertragbare Krankheit nicht oder nicht mehr übertragen kann.
Ausnahmen für immune Personen
Der erste eingefügte Satz ordnet also an, dass immune Personen (in der Regel Geimpfte oder Genesene) von den zuvor erlaubten Maßnahmen (z.B. Aufenthaltsbeschränkungen und Veranstaltungsverbote, siehe oben) ausgenommen werden können.
Der zweite eingefügte Satz erläutert dann, wie diese Immunität nachgewiesen werden kann, nämlich durch den Impfpass oder ein anderes ärztliches Attest.
Aber bedeutet das nun, dass Ungeimpfte damit schlechter gestellt werden?
Zunächst einmal muss man feststellen, dass diese Neuregelung keine zusätzlichen Befugnisse für den Staat festlegt. Insofern kann auch keine Rede davon sein, dass Ungeimpfte deswegen ihre Grundrechte verlieren würden. Es ist vielmehr so, dass Geimpfte oder anderweitig Immunisierte mehr Rechte bekommen als bisher.
Verfassungsrechtliche Pflicht zu Ausnahmen
Dies ist verfassungsrechtlich meines Erachtens unbedingt geboten. Wenn wir davon ausgehen, dass die Corona-bedingten Grundrechtseinschränkungen verfassungskonform sind, dann kann das nur damit begründet werden, dass man andere Personen von der Ansteckung und damit einer schweren Gesundheitsschädigung bis hin zum Tod schützen will.
Diese Schutzrichtung gibt es aber bei Personen, die weder selbst erkranken noch die Viren weitergeben können, nicht. Damit gibt es keinen Grund mehr, diese Personen mit Verboten zu belegen oder in den eigenen vier Wänden einzusperren.
Verfassungsrechtlich gesprochen: Der Grundrechtseingriff ist zur Erreichung des Ziels nicht geeignet. Damit ist er nicht zu rechtfertigen, die Maßnahme ist damit rechtswidrig und unzulässig.
Anreiz für absichtliche Corona-Infektion?
Nun wurde teilweise geäußert, dies stelle eine Vergünstigung dar, die die Menschen entweder zu einer Impfung (sofern existent) zwingt oder Anreize für eine vorsätzliche Infektion setzt.
Dieser Einwand ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Der Staat kann anerkannterweise nicht nur durch Verpflichtung und Verbot einen Zwang auf den Bürger ausüben, sondern auch durch „Belohnung“ eines bestimmten Verhaltens.
Es stellt sich dann aber die Frage, wie diese Problematik hier verhindert werden könnte, wie man also immune und nicht-immune Personen gleichstellen könnte. Dafür bieten sich naturgemäß zwei Möglichkeiten an:
- Entweder man lockert die Beschränkungen für alle. Dies ist derzeit aber definitiv nicht gewollt, weil es die Zahl der Infektion wahrscheinlich deutlich steigen ließe.
- Oder man führt die Beschränkungen auch zukünftig für alle gleich intensiv ein. Das bedeutet dann aber, dass man eine gewisse Zahl von Personen ohne Grund massiven Verhaltensregelungen unterwirft.
Keine Einschränkungen aus Gleichbehandlungsgründen
Letzteres wäre ein erhebliches Problem. Der Staat darf zwar, vereinfacht gesagt, Menschen einsperren, um eine Epidemie zu verhindern. Er darf aber keine Menschen einsperren, damit sicher andere Menschen nicht benachteiligt vorkommen.
Sollte demnächst einer der mittlerweile schon weit über 100.000 genesenen und nicht mehr infiziösen Corona-Patienten in Deutschland darauf berufen, dass es keinen Anlass mehr gibt, ihn weiter einzuschränken, wird dies möglicherweise auch ein Gericht so entscheiden – zur Not auch ohne entsprechende gesetzliche Regelung.
Gefahr zusätzlicher Einschränkungen
Also alles nur viel Lärm um nichts bzw. um eine eigentlich gute Regelung? Nicht unbedingt.
Denn selbstverständlich besteht nach dieser Rechtslage die Gefahr, dass die Regierung und die zuständigen Behörden umso drastischere Maßnahmen beschließen, weil es ja nur noch die „Richtigen“ trifft. Eine derartige, folgerichtige und grundrechtsschonende Regelung darf nicht dazu führen, dass der Staat bei den Bürgern, die sich nicht darauf berufen können, keinerlei Verhältnismäßigkeit mehr beachtet.
Es ist also so wie bei vielen Gesetzen: Das Gesetz selbst mag vernünftig sein, es muss aber auch vernünftig umgesetzt werden.