„In dubio pro reo“ als Grundrecht?

Im Strafrecht gibt es den sogenannten Zweifelssatz: In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Dieser auch (nicht ganz richtig) als Unschuldsvermutung bezeichnete Grundsatz soll den Beschuldigten schützen und ungerechte Verurteilungen verhindern. Im Fachrecht und im Strafprozess ist seine Existenz unbestritten anerkannt.

Aber ergibt sich dieser Zweifelssatz auch aus der Verfassung, insbesondere aus den Grundrechten?

Im Grundgesetz steht dieser Satz nirgends ausdrücklich – sonst würde sich dieser Artikel naheliegenderweise auch erübrigen.

Abgrenzung zur Unschuldsvermutung

Sehr deutlich hat sich das Bundesverfassungsgericht im Verfahren 2 BvR 2282/16, Rdnr. 11, zur strafrechtlichen Unschuldsvermutung im engeren Sinne geäußert:

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. (…) Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten (…) Allerdings muss dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage.

Zu beachten ist aber, dass hier ein anderer Aspekt der Unschuldsvermutung (die eben nicht vollständig mit dem „in dubio“-Satz identisch ist). Es ging hier nicht darum, dass jemand trotz Zweifeln an seiner Schuld verurteilt wurde. Vielmehr wurde er nicht verurteilt, sondern das Verfahren eingestellt, die Staatsanwaltschaft hat ihn aber trotzdem als schuldig bezeichnet.

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Prof. Papier: Grundgesetz grundrechtsfreundlicher als Weimarer Verfassung?

Auf Facebook kursiert gerade ein Meme mit einem juristischen Zitat, das großen Anklang findet:

Nach dem Grundgesetz können die Grundrechte auch in einer Notstandssituation nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Rechtslage unter dem Grundgesetz unterscheidet sich ganz grundlegend von der Weimarer Verfassung. Dort konnte der Reichspräsident gemäß Artikel 48 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit die Grundrechte vorübergehend außer Kraft setzen. In unserer Verfassung, dem Grundgesetz, ist das bewusst nicht so geregelt worden. Es gilt immer der Grundsatz: In dubio pro libertate.

Hans-Jürgen Papier
ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts
im Interview mit der Berliner Zeitung, 13.09.2021

Wenn ein früherer BVerfG-Präsident das gesagt hat, dann kann es wohl so falsch nicht sein. Trotzdem muss man diese Aussage schon auch etwas hinterfragen.

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